Rezension: Fallout: New Vegas

Vault Schreiberling

FalloutNow! Review

Fallout: New Vegas

Spiel’s noch einmal, Sam…

Eine Fallout: New Vegas Retrospektive

Fallout: New Vegas – unter den einfach gestrickten Menschen auch bekannt als „dieses eine Fallout 3-Anhängsel mit veralteter Grafik auf dem Stand von 2008, das irgendwie überflüssig ist, weil man ja schon vor 2 Jahren in diese postapokalyptische Welt ‚eintauchen‘ (LARP-Alarm!) konnte, um fast genau dieselben Gegner zu durchlöchern / verbrennen / aufzulösen / explodieren zu lassen“ – ist der aktuellste Ableger aus Bethesda’s NextGen-Fallout-Franchise. Und es ist im Gegensatz zu Fallout 3 tatsächlich ein außerordentlich gutes CRPG, ja sogar ein außerordentlich annehmbares Fallout. Aber warum ist es das? Wie konnte das passieren? Hat Bethesda aus heiterem Himmel begriffen, wie man ein vernünftiges Fallout-CRPG macht? Die Antwort ist ganz einfach: es ist nicht von Bethesda, sondern von Obsidian.

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Obsidian…wie mit Nachnamen?

Eine äußerst verwirrte wie auch berechtigte Frage. Schauen wir uns kurz einmal an, was Obsidian in der Vergangenheit so geleistet hat:

Nachdem die Black Isle Studios aufgelöst wurden, machten sich diverse Leute von dort auf und gründeten Obsidian Entertainment, darunter illustre Gestalten wie Chris Avellone, der sehr lange nicht verstanden hat, warum New Reno nicht zum Fallout-Kanon passt, ansonsten aber ein sehr guter Schreiberling ist, Chris Parker, der niemals einen Unterschied zwischen einem rundenbasierten und einem Echtzeit-Kampfsystem ausmachen konnte und Feargus Urquhart, der einst so schön sagte: „Fallout fans are the worst!“.

Daraufhin musste man erkennen, dass man ohne die sowieso fragwürdige Obhut eines Interplay nicht viel besser da stand und quasi als Independent-Developer erst einmal Fuß fassen musste. Naheliegend dafür war natürlich Vitamin B, wie Bioware. Alte Liebe rostet nicht und so konnte man den Nachfolger zu einem der uninspiriertesten CRPGs der letzten Dekade produzieren, KotOR II – The Sith Lord. Leider konnte ich es bislang nicht spielen, da es bis Redaktionsschluss immer noch nicht fertig gestellt worden ist und ein tatsächliches Ende vermissen lässt. Lucas Arts empfängt bis zum heutigen Tag noch gerne Anfragen diesbezüglich und beantwortet sie noch viel lieber. Also, auf in den Thunderbird!

Aller guten Dinge sind zwei, also nicht einfach ein zweiter Anlauf, sondern ein zweiter zweiter Teil – ein Satz, der so merkwürdig ist wie die Idee, einen Nachfolger zu Neverwinter Nights zu entwickeln. Dem Spiel, das D&D völlig falsch verstanden und ein Solo-RPG in eine Party-Umgebung geworfen hat, garniert mit einer Geschichte, gegen die eine Route 66 mehr Abzweigungen bietet. Ersteres hat sich Obsidian zu Herzen genommen und tatsächlich ein Party-CRPG (IN-Modifikator +3) produziert, das sich wiederum leider in Sachen Linearität, Klischee-Story, Klischee-Charakteren und Kampfgewichtung von Klassikern wie der Baldur’s Gate-Reihe (uff), Icewind Dale (argh!) und Halo inspirieren ließ. Aber es war wenigstens gut geschrieben, was durch die quälende OC geholfen hat.

Dann kam urplötzlich ein Lichtblick: Mask of the Betrayer. Ein vom Setting waghalsiges Experiment von der Klasse eines PS:T, nur dieses Mal mit tatsächlichem Roleplaying, Choices & Consequences, unnötig vielen Kampfsituationen und fantastischen Ideen wie die Seelenfresser-Komponente. Letztere war ein äußerst interessanter Weg, tatsächlich einen bösen Charakter spielen zu können. Etwas, woran es 99% aller sogenannten CRPGs mangelt. Leider sahen die meisten NWN2-Anhänger das anders, beschwerten sich darüber, wie nervig dieses Feature ist und fühlten sich in ihrer aus der OC liebgewonnenen Übermächtigkeit gekränkt, da man nun nicht mehr nach jeder kleinen Schramme unüberlegt die Cheat-… äh, ich meine Ausruhen-Taste drücken konnte, um der Party fünf magische In-Game-Sekunden beim Meditieren zuzuschauen. Schämt euch, ihr Obsidianer!

Nach einer weiteren NWN2-Expansion, Storm of Zehir, die wieder ein paar nette Ideen auf Lager hatte, aber so gut wie nicht wahrgenommen wurde, machten Bethesda ihren Deal mit Obsidian öffentlich: Obsidian entwickelt Fallout: New Vegas. Viele Fallout-Fans schöpften Hoffnung. Aber warum? Hatten die Obsidian-Mitarbeiter nicht wenig bis gar nichts mit den liebgewonnenen ersten beiden Teilen zu tun? Sehr richtig. Was sie aber getan haben, war Van Buren zu entwickeln, dieses ominöse Fallout 3 von den Black Isle Studios, welches zugunsten eines Fallout: Brotherhood of Steel eingestampft wurde. Letzteres ist bis heute ein götzenähnlicher Gegenstand in der Fallout-Community, umgarnt mit viel Liebe und Sympathie. Aber was macht man nun mit der ganzen Arbeit, die Jahre zuvor in ein Van Buren gesteckt wurden? Man verwertet sie in einem Fallout 3-Spinoff, das den Namen Fallout 3 schlussendlich mehr verdient als der tatsächliche dritte Teil.

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Die Neeson-Affäre

Einer der größten Schwachpunkte von Fallout 3 war die sinnlose Story: man wächst in einer Vault auf, begleitet von einem der langweiligsten Tutorials ever, Liam Neeson (the middle-aged guy) mimt den verantwortungsvollen Vater, der aus der Vault flieht, um einen hirnrissigen Plan in die Tat umzusetzen (Vater Liam ist auch diese Art Typ, der eine Molerat mit einem Fatman niederstreckt und trotzdem mit dem Aufwand nicht zufrieden ist) und seinen Sohn zurücklässt, der neben den anderen Vault-Bewohnern grundlos von der Vault-Security bis zum Tode angegriffen wird und so auch die Vault verlassen muss. Und jetzt muss der Sohn seinen Vater inmitten einer völlig inkonsistenten Ansammlung von Ortschaften finden – denn er hat ihm noch ein Geburtstagsgeschenk vorenthalten…
Schauen wir mal, was in New Vegas so vor sich geht: der Spieler wird mit einer einfachen Rache-Intention in eine Welt voller Fraktionen entlassen, die alle irgendwo miteinander in einem großen Konflikt verstrickt sind. Langsam wandelt sich die persönliche Rachegeschichte zu etwas weitaus Größerem, sie verstrickt sich wiederum mit dem Konflikt und der Spieler wird vor die Wahl gestellt, was er mit der Situation anstellt. Das ist für ein Mainstream-Spiel eine außergewöhnlich komplexe Grundhaltung, die nichts mehr mit dem linearen Story-Telling eines Fallout 3 gemein hat und zudem auch noch in all der Konsistenz eines New Vegas weitaus mehr Sinn ergibt. Hier wirkt keine Ortschaft „out-of-place“, sondern passt zum Gesamtkonstrukt der Welt und Fraktionen. Die NCR hat überall Außenposten, die mehr oder weniger von der Legion bedroht werden. Die Legion selbst hält sich mit ihrer Anwesenheit vornehm zurück, es sei denn, es ergibt in Anbetracht ihrer geografischen Stellung Sinn – man wird niemals im Norden von New Vegas einem Legion-Soldat über den Weg laufen. Der Ort Primm befindet sich genau zwischen New Vegas und dem Mojave-Outpost der NCR, daher ist es der NCR auch wichtig, diesen Ort zu besetzen, jedoch wiederum nicht so wichtig, wie die Front gegen die Legion zu verteidigen. Daher ist die Truppenstärke der NCR dort eher gering und die Hilfe des Spielers wird benötigt. Die Fraktionen sind allgegenwärtig, der Konflikt ist allgegenwärtig und alles in dem Maße, wie es zur geografischen Lage passt. Vergleicht man das mit Fallout 3, wo einem auf dem Weg durch das Ödland einfach mal Orte wie ein Lovecraft-Gebäude, eine Siedlung voller Kinder und Bewohner eines Kaffs, die von dem martialischen Kampf zwischen zwei selbsternannten Superhelden ein wenig beunruhigt werden (WTF?) begegnen, ist der inhaltliche Qualitätsunterschied immens. Die Design-Entscheidung eines Fallout 3, den Spieler mit unterhaltsamen, aber inkonsistenten Lokationen nach dem Motto „je verrückter desto besser“ abseits der Main-Story, der der Spieler vielleicht hin und wieder überdrüssig wird, zu beschäftigen, ist der weniger durchdachte, weniger erwachsene Weg.

Natürlich ist New Vegas in Sachen Story nicht perfekt: der Fallout-Veteran wird mit allen möglichen Referenzen zu den ersten beiden Teilen beworfen, sodass es manchmal den Fremdschäm-Faktor eines öffentlichen Heiratsantrages hat. Aber hey, manche Menschen sollen nur schwer zufrieden zu stellen sein. Und zu denen gehöre ich ja definitiv nicht. Es ist hin und wieder schon schön, alte Bekannte wie Marcus wieder zu sehen und dabei auch zu erfahren, wie es den Supermutanten und Nightkins in der Zwischenzeit an der Westküste ergangen ist. Es ist das tragische Schicksal der Supermutanten, welches den Geist eines Fallout 1 am meisten durchscheinen lässt, den gescheiterten Plan des Meisters mit zeitlicher Distanz beleuchtet und so die Supermutanten endgültig als Produkt und Opfer eines Größenwahns zeigt. Die NCR, an deren Gründung und Entwicklung der Bunkerbewohner sowie auch das Auserwählte Wesen maßgeblichen Anteil hatte, zeigt, dass aus ursprünglich guten Absichten und Überzeugungen etwas entstehen kann, das in ihrer Vorgehensweise als höchst kritisch angesehen werden kann. Einem zivilisationsförderndem Ziel aus den Zeiten von Shady Sands ist nach und nach ein opportunistischer Gedanke gewichen, dessen Motivationen und Zielsetzungen bei genauerer Betrachtung denen der Legion gar nicht so unähnlich sind. Die Legion selbst kommt zu oberflächlich, weil zu kurz weg – was schade ist, denn das Grundpotential ist ohne Zweifel vorhanden. Auf dem jetzigen Stand stehen Kreuzigungen und Sklaverei so sehr im Vordergrund, dass die Legion zu leicht als die böse Gruppierung ohne richtige Motivation abgestempelt werden kann. Ich habe hier noch ein wenig Hoffnung, dass kommende DLCs den Umstand etwas relativieren können.

FNV

O, teh choices!

Richtige Fallout-Fans lieben Choices & Consequences, und da New Vegas in der Hinsicht so einiges zu bieten hat, möchte man am liebsten Kinder damit machen.

Was ich für welche Fraktion wie erledige hat immer Einfluss auf das Reputationssystem der Gruppierungen. Sehr oft überschneiden sich sogar Aufgaben, was einem in der Gunst der einen Fraktion zwar aufsteigen lässt, während die andere Fraktion sich aber ans Bein gepinkelt fühlt. Die Quests sind nahezu durchgehend konsistent zur gegebenen Welt und der Situation designed, was erstens eine unglaublich gute Leistung ist und zweitens durch die Überschneidung dieser den Spieler ständig die Früchte seiner Vorgehensweise spüren lässt (unabhängig vom kaputten Karma-System). Die Entscheidungen, die man treffen muss, befinden sich zudem abseits von typischen Gut/Böse-Mustern. Wo man zuerst denkt, die NCR wäre die „gute“ Wahl, erfährt man nach und nach, dass man es mit einer alles okkupierenden, rassistischen und diktatur-ähnlichen Gruppierung zu tun hat. So sehr man die Vorgehensweisen einer Legion verabscheuen mag, der charismatische Anführer bietet Ansichten, die der Gesamtsituation gegenüber vielleicht gar nicht so unangemessen sind und der drastischen Vorgehensweise eine grundlegende Rationalität überordnet, wie sie zu den Kriegszügen der Römer auch passend erscheint. Und ist die Vorgehensweise der Powder Gangers so unfassbar, wenn man ihre Herkunft betrachtet? Vergleicht man diese Motivationen und Hintergründe mit denen aus Fallout 3 – Leute, die ohne Grund eine Atombombe anbeten; Talon-Söldner, die einfach da sind, weil dein Karma gut ist; ein alter Mann, der eine Siedlung mitsamt Menschen in Schutt und Asche sehen möchte, weil es seiner Aussicht sonst hinderlich ist; eine Organisation, die nichts besseres zu tun hat, als sich unerklärlicherweise für das Recht von Androiden einzusetzen etc. – tut sich ein inhaltlich unfassbar großer Unterschied auf. Und wenn man noch berücksichtigt, wie sehr die Qualität bei der Schreibe angestiegen ist fragt man sich, ob Bethesda nicht wirklich eine Bande von Schimpansen die Dialoge für Fallout 3 hat schreiben lassen und sich beim Weltdesign zu sehr an dem irren und wahllosen Herumschmeißen von Exkrementen dieser Tiere orientiert hat.

Gerade die erklärbaren Motivationen und Hintergründe mitsamt der konsistent angelegten Quests machen die Entscheidungen, die man trifft genauso bedeutend wie die Konsequenzen. Ich könnte so viel darüber schreiben, was mich daran begeistert, wie sehr der Spieler mit einbezogen wird, aber ich schließe die Lobhudelei einfach damit ab, dass sich jeder CRPG-Entwickler im Mainstream-Bereich ein Beispiel daran nehmen sollte, um das Genre von dem dumbed-down Status Quo, der schon seit gut einem Jahrzehnt vorherrscht und in den letzten Jahren fast surreale Züge angenommen hat, weg zu bewegen. Wie man an New Vegas sieht, kann man damit durchaus erfolgreich sein.

FNV

Your satisfaction shall be action!

Fallout 3 war einfach. Sogar lachhaft einfach. Aber da sich Bethesda spätestens seit Oblivion vorgenommen hat den Begriff „Sandbox“ nicht nur als Designgrundlage, sondern auch als Zielgruppe zu benutzen, ist das nicht weiter erwähnenswert. New Vegas ist sicherlich ebenfalls kein Spiel der großen Herausforderungen (selbst im schönen, aber unausgegorenen Hardcore-Mode und auf „very hard“), aber mir gelingt es z.B. nicht, auf Level 1 mit einem Baseballschläger auf einen Supermutanten einzuschlagen, bis er umfällt. Warum ist das so? Obsidian hat hier eine weitere Komponente der Spielmechanik aus den alten Fallout-Spielen übernommen: Damage Threshold. Das Konzept ist so simpel wie wirkungsvoll. Der jeweilige DR-Wert wird vom Angriffsschaden abgezogen, was endlich auch wieder Deathclaws zu den gefürchteten Gegnern macht, die sie auch sein sollen. Damit aber nicht genug: Obsidian hat den Schusswaffen verschiedene Munitionstypen spendiert, um mit gepanzerten wie auch nicht gepanzerten Gegnern effektiv umgehen zu können. Man nehme noch verschiedene Modifikationsmöglichkeiten für einige Waffen und die Möglichkeit, selbst Munition herzustellen und man hat zwar kein übermäßig forderndes, aber dennoch begrüßend komplexes System, das der Action zugrunde liegt.

V.A.T.S. ist nach wie vor ein fragwürdiges System, das oft einfach nicht besonders gut funktioniert und meiner Meinung nach nichts in einem Echtzeit-Spiel verloren hat. Aber es fühlt sich wenigstens in NV nicht mehr an wie ein Cheat-Modus. Die Wahrscheinlichkeitswerte für Treffer scheinen nicht mehr einer gefühlten „+30%-Regel“ zu unterliegen und man steckt auch nicht mehr lediglich 10% des zugefügten Schadens ein, während man sich in V.A.T.S. befindet. Hier ist die volle Breitseite angesagt.

Der Action-Gehalt ist insgesamt noch sehr hoch, aber steht im ausgewogenen Verhältnis zum tatsächlichen Rollenspiel. des öfteren kann man auch nahezu vergessen, dass man überhaupt mit ein, zwei Waffen herumläuft, vornehmlich in The Strip und Umgebung. Kommen wir damit zum nächsten Punkt…

Eine Welt voller Liebe, jenseits von Kimme und Korn

Es ist so schön, endlich mal wieder Probleme ohne Gewalt lösen zu können und zu sehen, dass die Menschen in der Fallout-Welt noch etwas anderes sein können als Zielscheiben, wenn sie nicht mit der Meinung des Spielers übereinstimmen. Selbst, wenn man sich daran gewöhnt hat, dass ein hoher Speech-Skill so einiges bewirken kann, wird man doch einige Male wieder überrascht sein, was sich Obsidian hat einfallen lassen. Als Beispiel sei hier der Umgang mit dem Anführer der Fiends genannt. Ich war schlicht verblüfft, was sich aus einer Seek & Destroy-Quest ergeben kann.

Neben weiteren Skill-Checks für Science, Explosives, Survival…ach, eigentlich so ziemlich alle Skills, soweit ich das beurteilen konnte, sei noch der Barter-Skill erwähnt. Dieser funktioniert als Variation des Speech-Skills so brillant, das man sich fragt, weshalb das nicht schon früher so umgesetzt wurde – es gibt auffallend viele Situationen, in denen ein Speech-abhängiger Redeschwall durch eine Barter-abhängige Profitorientierung ersetzt werden kann. Was nur unheimlich stört und etwas den Wiederspielwert mindert ist die Tatsache, dass ständig der nötige Skill-Level für erfolgreiche Checks innerhalb der Dialoge angezeigt wird und so dazu verführt, die recht häufig anzufindenen, temporär wirkenden Skill-Bücher zum Buffen zu benutzen.

FNV

Lasst uns töten, Companeros!

In keinem vorherigen Fallout-Spiel haben Begleiter eine solch tragende Rolle gespielt wie in New Vegas, und damit spreche ich nicht einfach die Tatsache an, dass sie eindeutig over-powered sind und so die Kämpfe noch einfacher machen, als sie es ohnehin schon sind. Es sind allesamt interessante, vielschichtige Charaktere, die jeweils eine interessante Quest zu bieten haben, die auch noch mit der bereits angesprochen dicht inszenierten Situation in der Mojave-Wüste zu tun haben und so ausnahmslos zur Atmosphäre beitragen. Nehmen wir zum Beispiel Veronica, den Scribe von der Brotherhood of Steel. Sie ist es, die sich für die Verhältnisse auf der Oberwelt interessiert, während die anderen weiterhin dieses ignorante und unrealistische Bild der eigenen Unantastbarkeit und Wichtigkeit in der Welt aufrecht erhalten wollen. Die Konsequenz dieses Verhaltens umschreibt Veronica mit drei einfachen, wie auch allumfassenden Worten: „They are dying.“ – die Brotherhood ist in New Vegas die logische Weiterentwicklung der bereits aus Fallout 1+2 bekannten technokratischen, in sich gekehrten Gruppierung und nicht die kriegsgeile Maschinerie aus Fallout 3 die den merkwürdigen gelben Supermutanten entgegentreten, „fighting the good fight“.

Dann haben wir noch Arcade Gannon, bei dem sich mit der Zeit herausstellt, dass er der Sohn eines verstorbenen Enklave-Mitglieds ist, der mit anderen Überbleibseln der Enklave vor vielen Jahren aus Navarro geflohen ist. Er ist ein ruhiger, jedoch prinzipientreuer Mensch und zieht für sich selbst Konsequenzen, wenn ihm nicht behagt, was der Spieler in seiner Begleitung so anstellt. Arcade ist sarkastisch, unsicher und es fällt ihm offensichtlich schwer, sich emotional zu binden. Ach ja und er ist schwul. Das sage ich ganz beiläufig, denn es wird ebenso beiläufig von ihm erwähnt – als etwas selbstverständlich normales und als Charaktereigenschaft, jedoch nicht als Definition: Seine offene und körperbezogene Orientierung gehört zu ihm, macht ihn aber nicht aus. Ich habe noch nie in einem Computerspiel solch einen zurückhaltenden Umgang mit Homosexualität gesehen der sie zu dem macht, was sie auch sein sollte: Eine ebenso für den Charakter unwichtige Eigenschaft wie Heterosexualität. Arcade gehört mit all seiner Vielschichtigkeit und seiner eigenständigen, starken Persönlichkeit zu den erinnerungswürdigsten Charakteren in New Vegas, was an sich schon eine große Leistung ist.

Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass New Vegas zu keiner Zeit in Dating Sim-Gefilde abdriftet wie es in Bioware-Spielen Gang und Gäbe ist. Die Abwesenheit von Romanzen und die meist lediglich beiläufige, subtile Erwähnung sexueller Vorlieben seitens der Begleiter führt zu einem stark menschlichen und freundschaftlich anmutenden Verhältnis. In Bioware-Spielen geht es eher hauptsächlich darum, wie sympathisch man den jeweiligen Charakter in seiner jeweils überzogen klischeehaften, in eine klare, oberflächliche Richtung driftenden Persönlichkeit aus Spieler-Sicht findet und natürlich, ob man ihn knallen kann und will. Dieser Umgang lässt sie zu reinen Loyalitäts-Marionetten verkommen, bei denen die Persönlichkeit, wie komplex sie auch sein mag, nur in den Hintergrund treten kann. Bioware steckt nun schon seit Jahren in dieser nahezu archetypisch anmutenden Haltung gegenüber Begleitern fest, in deren Grundhaltung es für mich immer logischer gewesen wäre, nach den jeweils bis zum Erbrechen ausgedehnten Kampfsituationen mit allen Begleitern im Zelt oder Maschinenraum (you name it) zu verschwinden und einfach mal das Adrenalin auf eine Art und Weise zu nutzen, wie es dem Gruppenzusammenhalt nur zuträglich sein kann.

Bioware sollte sich ein Beispiel an dem weitaus erwachseneren Ansatz von Obsidian nehmen. Es liegen einfach Welten zwischen dem schwulen Assassinen Zevran aus Dragon Age und dem zermürbten Wissenschaftler Arcade.

When shit hits the fan…

Wie großartig New Vegas doch sein könnte, und zwar in einem „best-fucking-CRPG-evar!“-Sinne. Aber das Spiel hat natürlich seine Schattenseiten, die hauptsächlich in der „unholy union between Bethesda and Obsidian“ (Vince D. Weller) begründet liegt. Es spielt sich in Kampfsituationen einfach wie ein Shooter. Man ist mit 15% auf dem Energiewaffen-Skill nicht wirklich so schlecht dran, wie man denkt. Treffen tut man sowieso und am Schaden ändert der Skill trotz waffenabhängiger Schadens- und Genauigkeitsrestriktionen ebenfalls nicht so viel, sodass man sagen könnte, hier würde Charakter-Skill über dem Player-Skill stehen. Das kennt man schon aus Fallout 3 und an dieser Spielmechanik lässt sich nicht viel ändern, auch wenn es sich in New Vegas besser anfühlt (besonders bemerkbar beim Zielen über Kimme und Korn). Verglichen mit früheren Bethesda-Spielen wie Daggerfall und Morrowind ist Bethesda bereits mit Oblivion den Weg des würfellosen Kampfes zugunsten der Action-Zielgruppe gegangen. Warum? Weil es für diese Spielerschar irritierend ist, den Gegner nicht zu treffen, obwohl es visuell eigentlich nicht nachvollziehbar ist. Aber dort liegt nun einmal der Unterschied zwischen einem Ego-Shooter und einem CRPG mit auszubauenden Skills, mein Sohn.
Man kann schon so etwas wie Mitleid für die Obsidianer empfinden mit all ihren Bestrebungen, die völlig kaputte und unausbalancierte Spielmechanik positiv zu modifizieren. V.A.T.S. habe ich weiter oben schon angesprochen und wie wenig konform es mit der sonstigen Spielmechanik (der eines Shooters) geht, macht das Würfelbeispiel klar: man steht 4 Meter vor einem Gegner und schießt ihm in Echtzeit mitten in die Fresse. In V.A.T.S. wiederum zählen diese Gesetze nicht und man verfehlt. Das Zusammenspiel funktioniert einfach nicht.
Das Level Up-System hat auch eine Faltenkur bekommen, indem man nur noch alle zwei Level einen Perk wählen kann und diese dadurch etwas entschärft hat. Auch gibt es weniger Skillpunkte zu verteilen. Und trotzdem muss man schon sehr früh nur noch Deathclaws fürchten und die Erkundung der Mojave-Wüste wird zum Pfadfinder-Ausflug.
Die Engine ist nicht dazu in der Lage, wirklich größere Ansammlungen von Menschengruppen abzubilden, was insbesondere The Strip unglaubwürdig erscheinen lässt. Hier herrscht das Glücksspiel, ohne dass jemand Glücksspiel betreibt. Novac ist ein Ort wo man sich fragen muss, warum sich überhaupt Händler die Mühe machen, dorthin zu kommen. Und die Great Khans wirken in ihrer Größe sicherlich nicht wie eine Macht, um die man sich in Anbetracht des Konfliktes Gedanken machen müsste. Die Engine gibt dem ansonsten so atmosphärischen Spiel einen unverdienten Schlag in den Unterleib und landet dabei einen kritischen Treffer.

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What has transpired…

What is more important in an RPG: real choices with real consequences, or engaging, fun gameplay?
Engaging, fun game play should be the bare minimum expected in any game. If you’re making an RPG, it should have that AND the ability to define/express a character’s personality in a way that significantly changes the development of the story. – JE Sawyer

Für alle, die in einem CRPG Wert auf eine konsistente Spielwelt legen, auf Quests, die sich auf unterschiedliche Art und Weise lösen lassen und dabei sehr oft den Charakter-build miteinbeziehen, und auf bedeutende Entscheidungen mit ebenso bedeutenden Konsequenzen, die den Spieler auch tatsächlich eine Rolle im eigentlichen Sinne spielen lassen, ist Fallout: New Vegas fast schon so etwas wie die Rückkehr des Herren. Aber es ist definitiv die Rückkehr des richtigen CRPGs im Mainstream-Bereich.
Während viele sogenannte zeitgenössische CRPGs zwar jede Menge „Fun“ bieten können, beschränken sie den Rollenspielwert auf ein Stat-System und Fake-Choices, die dem Spieler nicht im geringsten einen Einfluss auf die Story nehmen lassen. Mass Effect 2 macht Spaß, aber es sind nicht die ohnehin kaum existenten Rollenspielanteile, die Spaß bereiten – es sind die Shooter-Missionen vor abwechslungsreichen Kulissen und der Umgang mit den Begleitern. Aber so oder so spielt man den omnipotenten, schablonenhaften, der Situation ständig gewachsenen Shepard. Und zum Schluss rettet man auch noch so oder so die gesamte Galaxie. Nirgendwo sonst wird unantastbarer Größenwahn als stinknormale Charaktereigenschaft legitim dargestellt wie in den Mass Effect-Spielen. Oder wie ein hiesiges Forenmitglied so treffend sagte:

„und ich hab mich schon gewundert warum ich in den aktuellen Bioware-Games nicht anders kann als immer nen abgefuckten Wifebeater zu spielen.“

Gerade Mass Effect 2 als Beispiel für mangelhaftes Rollenspiel zu nehmen ist angesichts der Tatsache, dass sogar die Spiele-Presse den Rollenspielwert in diesem Fall anzweifelt etwas schwach. So mag es erscheinen. Das Witzige ist aber: Bioware hat niemals andere Spiele gemacht. Es waren immer linear ablaufende Abenteuer die mit einem Stat-System angereichert wurden, welches aber nur für Kampfsituationen von Vorteil war. Eine epische Geschichte und Action stehen im Vordergrund, aber nicht das Rollenspiel. Das einzige Spiel, welches ein wenig aus dieser langweiligen Formel heraussticht ist Dragon Age: Origins – und hier hat man den Rollenspielanteil mit dieser fast grotesk anmutenden Gewichtung auf Kampfsituationen nahezu erdrückt.
Den einzigartigen Eigenschaften des CRPG-Genres wird auch ein Bethesda keineswegs gerecht. Daggerfall hatte frische Ideen und ein komplexes Charaktersystem, aber anstatt diese Eigenschaften auszubauen hat Bethesda über Morrowind hin zu Oblivion aus seiner einst so speziellen, vielversprechenden Dungeoncrawler-Franchise einen Fantasy-Shooter gemacht, bei der es mehr darauf ankommt, was man sich vorstellt zu tun als es wirklich tun zu können. Anstatt das so fantastische Charaktersystem weiter zu entwickeln, hat man es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebrochen, das Spezialisierungen außerhalb der beliebten Krieger/Dieb/Magier-Klassen schlicht nicht zulässt. Von non-linearem Story-Telling hat Bethesda dabei bislang immer noch so wenig gehört wie von bedeutenden Choices & Consequences. Die einzigen Skills, die Bethesda über die Jahre weiter entwickelt hat, sind die des unerträglichen Hype’s und des schamlosen Lügens.

Wenn also Ideen von diesen „CRPG-Schmieden“ kommen, sind es keine Ideen, die das Rollenspiel weiter nach vorne bringen und ausbauen. Es sind Ideen, die dem Rollenspiel mehr und mehr die Komplexität rauben und dabei völlig von der Genre-Kennzeichnung verdrängen. Und wenn es gute Ideen sind, erhöhen sie sehr oft den Spielspaß, beziehen sich aber nicht auf das Rollenspiel. New Vegas geht einen völlig anderen Weg nach einer völlig anderen Maxime – es macht Spaß, aber es macht als Rollenspiel Spaß.

Appendix

Special Thanks to Lexxomat fürs Gegenlesen und aufmerksam machen. Ohne dich würde der Tag nur halb so hell sein.

Ich entschuldige mich in aller Form bei den Bioware- und Bethesda-Fans, respektive bei den Anhängern der hier genannten, nicht so gut weg gekommenen Spiele. Greift weiter nach den Sternen und wir werden den Himmel hier auf Erden haben!

Autor: Zen Inc