Der Filmstar

Knallend schloss sich hinter ihm die Tür. Der enge Flur war nur spärlich beleuchtet, so wie der Rest der Farm. Nichts außer seinem Atem konnte er hören und das leisen Knarren, wenn er einen weiteren Schritt machte. So wird das nichts. Er zog sich die Schuhe aus und ging auf leisen Sohlen langsam vorwärts. Vor ihm eine Tür. Behutsam legte sich seine Hand auf die Türklinke und drückte sie hinunter. Die Tür war offen. Nervös sah er sich um und rechnete jederzeit damit, von hinten überfallen zu werden. Auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Ihr kriegt mich nicht… Sein Herzschlag begleitete ihn geräuschvoll bei jeder Regung. Er musste leise sein, damit ihn die anderen nicht fanden, bevor ER sie fand. Was ihm fehlte, war eine Waffe. Doch das sollte kein Problem sein. Ganz allmählich bewegte er sich vorwärts und streckte seine Hand aus. Sie berührte etwas Kühles. Er musste blinzeln. Der kleine Revolver in seiner Hand von der Kommode war erschreckend leicht. Hastig überprüfte er die Trommel und unterdrückte einen Fluch. Leer! Was denken diese Leute sich dabei?

Wütend wollte er das nutzlose Ding fortwerfen. Dann klickte es von irgendwo her kaum hörbar. Noch einmal. Nikolai verharrte. Es klickte ein weiteres Mal, diesmal war er sich sicher, es sich nicht eingebildet zu haben. Sein Blick wanderte über den Dielenboden und fand tatsächlich eine Falltür, die mit einem alten Teppich mehr schlecht als recht verborgen war. Sachte musste er lächeln. Für wie naiv hielten sie ihn eigentlich? Bis auf die Kommode, einen niedrigen Tisch und der Falltür fand er nichts von Interesse…abgesehen von einem alten Plattenspieler. Ehe er es einschaltete, untersuchte er es von allen Seiten. Bei diesen Menschen konnte er nie wissen. Das Lied, welches abgespielt wurde, kannte er natürlich nicht. Aber das war unwichtig. Er machte sich klein und versteckte sich unter dem Tisch. Dort wartete er, bis sich von der anderen Seite eine Tür öffnete.

Herein trat ein junges Mädchen, vielleicht in seinem Alter. Nikolai konnte nur die nackten Beine ausmachen, die erst zögernd stehen blieben und dann weiter auf die Falltür zugingen. Ja, er rechnete mit ihrem Leichtsinn. Wäre die Sklavin schon so lange dabei wie er, wüsste sie, was mit ihr alles passieren könnte. Als sie an der Falltür zog und neugierig eine kleine Treppe nach unten ging, war es soweit. Wie ein Schatten kroch er unter dem leeren Tisch hervor. Sie müsste weit genug drin sein…und… Mit einer ruckartigen Bewegung schloss er die Falltür hinter ihr und zog die Kommode näher an sich heran. Erschrocken fuhr das Mädchen herum und hämmerte rufend gegen den Ausgang. Nikolai achtete nicht darauf. Er schob die schwere Kommode über die Öffnung und legte sich flach auf den Boden. Die Musik hatte aufgehört und nur das Rufen des Mädchens war zu hören. „Schrei um Hilfe, solange du nur willst.“ Das Klicken wurde lauter. Nun endlich bemerkte die Sklavin, das sie nicht alleine eingesperrt war.

Die kleine Kamera zoomte näher an sie heran und fing ihr angstverzerrtes Gesicht ein, als der junge Radskorpion mit klickenden Scheren auf sie zukam. Sein Gehör hatte ihn nicht getäuscht. Er grinste breit. Diese hier war aus dem Rennen, blieb noch Stan. Während ihrer Gefangenschaft hatten sie Freundschaft geschlossen. Und nun war es an der Zeit, diese zu beenden. Es galt nun mal das Recht des Stärkeren. Und das war er. Erleichtert atmete er aus und strich sich über seine brünetten Haare, die mittlerweile bis an sein Kinn reichten. Das laute Hämmern gegen die Falltür wurde erst schwächer und erstarb schließlich. Das bedeutete, seine Chance diese Sache heil zu überstehen wuchs soeben um 50 zu 50. Zuversichtlich wendete er sich der Tür zu, aus der die Sklavin gekommen war. Nun fand er sich in einem engen Raum vor, der mit Spinnenweben übersäht war. Drei Türen führten in drei unterschiedliche Richtungen. Nikolai entschied sich für Nummer eins. Das Licht war hier noch schlechter als im Flur. Etwas blitzte kaum sichtbar auf. Er musste schlucken. Vorsichtig trat er zurück. Eine Falle! Diese Mistkerle… Nahezu unsichtbar spannte sich ein hauchdünner Faden um den Türgriff und verlief nach weiter unten zum Boden. Nein, den Gefallen mache ich ihnen nicht! Er strich über seinen leeren Revolver. Das kalte Metall hatte etwas Beruhigendes an sich. Er mochte Waffen. Sie waren seine Freunde. Halfen ihm zu überleben. Zitternd legte sich seine Hand auf die Öffnung einer anderen Tür. Kalter Schweiß lag auf seiner Haut.

Die Lichtverhältnisse in diesem Raum waren etwas angenehmer. Doch gleichzeitig bargen sie eine Gefahr. Seine Augen schweiften durch das geräumige Wohnzimmer, das von Staub durchzogen wurde. Alte Möbel und schimmelige Tapeten, die sich von der Wand lösten, ließen jedoch kein Wohlbehagen aufkommen. Zudem war ihm ohnehin schon, als würde ihm jedem Augenblick das Herz stehen bleiben. Ganz ruhig…Als er sich gefasst hatte, ging er weiter und entdeckte einen Kamin. Noch viel wichtiger war, was vor dem Kamin hing. Mit glänzenden Augen schob er den Revolver zwischen seinen Gürtel und nahm eine formschöne doppelläufige Schrotflinte aus seiner Halterung. Bitte, lass es geladen sein… Seine Miene entspannte sich. Sie war es. Zwei Patronen befanden sich im Lauf. Genug, um das heutige Spiel zu beenden. Die Kamera an der Decke schwenkte um und nahm ihn ins Visier. Mit erhobenem Gewehr schlich er auf Zehenspitzen weiter und hörte nebenan etwas rascheln. Schönschönschön. Sein Blick fiel auf eine Vase, die auf dem Kaminsims stand. Auch im Wohnzimmer befand sich ein Tisch. Kurzerhand schmiss er die Vase um, die mit einem lauten Krachen in mehrere Teile zerbrach.

Der junge Mann im Nebenraum zückte sein Jagdmesser und riss die Tür auf. Sofort bemerkte er, was den Krach ausgelöst hatte und machte sich wie ein Panther zum Sprung bereit. Dann stieß er sich ab, hielt sich blitzschnell an der rauen Oberfläche des Tisches fest und rutschte darunter. „Hab ich dich! “ Brüllte er und Niko wusste, was es zu bedeuten hatte. Er war fertig mit den Nerven. Da war es doch das Einfachste, ihn von seinem Leid zu erlösen. Nikolai zielte auf seine Beine in Höhe der Knie. Und drückte ab. Es krachte. Verdutzt wollte sich der junge Mann aufrichten. Doch dann schlugen im selben Augenblick mehrere kleine Schrotkügelchen in seinen rechten Unterschenkel, die ihn vor Schmerzen aufkeuchen ließen. Unsanft fiel er zu Boden. Niko fluchte leise und trat aus dem dreckigen Kamin hervor. Rußbedeckt hielt er dem Mann in Schach und richtete sich auf. „Bleiben nur noch du und ich.“ Sagte er tonlos und betrachtete die Wunde des Afroamerikaners. Zu seinem Pech war ein Großteil der Ladungen danebengegangen. Das Auge der Kamera blieb an ihnen heften. Die kalte Maschine gab ein leises Surren von sich, als es sich auf den bewaffneten Schönling konzentrierte. Dieser schloss ein Auge und legte auf seinen Kopf an.“ Warte.“ Der Ton des Farbigen klang protestierend. „Wir könnten den ganzen Scheiß beenden. Lass uns zusammen von hier weg. Es müssen nicht noch mehr sterben. “ Niko schüttelte den Kopf und ließ sich davon nicht beirren. Sondern zielte sorgfältig. Noch einmal darf der Schuss nicht danebengehen. Der andere presste eine Hand auf sein verletztes Bein, die andere umklammerte das schweißnasse Messer. Nikolai wartete, bis die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers auf ihn gerichtet war. Dann drückte er ab.

~Draußen~

„Gute Arbeit, Junge.“ Meinte der Dicke draußen und tippte etwas in seinen Laptop ein. „Geh zu Bibi, sie soll dir die Reste von heute Morgen geben.“ Seine Augen hafteten auf den Bildschirm. Wortlos ging der damals 18-Jährige auf die Küche zu. Dann fiel ihm der Rucksack auf. „Wo ist Mr. Pete?“ „Auf dem Pott.“ Niko sah sich hastig um, dann öffnete er den Rucksack. Ihr Idioten! Vor seinen Füßen kullerten einige Patronen. Grinsend nahm er sie auf und lud das leere Gewehr, das er an Pete abgeben sollte. Dann richtete er ohne zu Zögern es auf den abgelenkten Mann, der täglich die Szenen für ihre kleinen Videos zusammen schnitt.

„Uuuund….Action!!!“

Nikolai war zufrieden. Die gesamte Filmcrew lag ihm zu Füßen und schaute zu ihm auf. Mit gemächlichen Schritten wanderte er durch die Ruinen. Einen hatte er noch vergessen. Zwar niemand vom Team, aber dennoch genauso für seine jahrelange Karriere verantwortlich. Die hässlichen Schnittverletzungen und Brandwunden auf seiner Wange hatte er ihm zu verdanken. Ebenso die unzähligen Narben auf seinem Rücken. Er hatte ihn benutzt. Verkauft. Er hörte jemanden ganz leise atmen. Auf sein feines Gehör konnte er sich verlassen. Leise schlich er sich an. Und sprang hervor. Da saß er, zusammengekrümmt und am ganzen Leib zitternd. „Hi, Dad. Unser neuer Film ist fertig. Hast du schon dein Geld dafür bekommen?“ Zähne splitterten. Dann färbte sich die Wand hinter dem Alten rot. Mit müden Schritten schleppte sich der junge Mann durch das Ödland. Er war endlich frei. Auf einem Felsen ließ er sich den kühlen Wind ins Gesicht wehen.

In dieser Nacht war es sehr still. Nur ein verlorenes Kichern begleitete die wenigen Geräusche der nächtlichen Wildnis.

Autor: Jessica