Der Anfang vom Ende

Die Menschen gerieten in blinde Panik. Die Botschaften aus Funk und Fernsehen waren unmissverständlich. Tausende und Abertausende Feindestruppen waren angeblich schon auf dem Weg hierher mit dem Befehl, keine Gefangenen zu machen. Man hatte den Krieg verloren, der Feind stand praktisch vor der eigenen Haustür. Ob es sich um ein Gerücht handelte oder nicht, die Masse ließ sich ohnehin nicht mehr aufhalten. Soldaten und Sicherheitskräfte versuchten vergeblich gegen ein tobendes Meer anzukämpfen, die endlosen Massen an verängstigten Gesichtern, welche zu einer einzigen Einheit zusammen zu schmelzen schienen. Steine und Flaschen prasselten auf die scheinbaren Aggressoren ein, Freunde und Nachbarn zerstritten sich wegen Nichtigkeiten und verloren sich in Hysterie. Alte Fehden wurden auf rasche und äußerst brutale Weise gelöst, wurde man derer habhaft, die einem missfielen. Das wachsame Auge des Gesetzes blieb verschlossen.
Am späten Nachmittag begannen willkürliche Plünderungen, einfach alles wurde wahllos an sich gerissen und mitgeschleppt. Einige Menschen wollten vor dem Untergang wenigstens einmal in ihrem Leben im Luxus schwelgen. Blutige Schlägereien auf offener Straße ereigneten sich ebenso wie mutwillige Zerstörung von Autos, Geschäften und Wohnungen. Überall splitterte Glas, heulten Alarmanlagen auf und fluchten Menschen. Über Nacht nahm die Gewalt drastisch zu. In den verwaisten U-Bahntunneln drängten sich verängstigte Leute, die mit einigen wenigen Besitztümern in den Armen einen sicheren Ort zum Verstecken aufsuchten. Der Verkehr wurde merklich langsamer und kam schließlich zum Erliegen.

Die Straßen waren völlig verstopft von verlassenen Autos und Lastwagen, die man nicht abgeschaltet hatte. Fahrzeuge waren vollkommen nutzlos geworden. Auf die Befehle und Bitten der Beamten und Soldaten wurde mit roher Gewalt geantwortet. Evakuierungspläne und Zivilschutzmaßnahmen schlugen nach kurzer Zeit fehl; viel zu tief lag die Angst vor dem Unbekannten und die Massenpanik schraubte die Wut und die Frustration himmelwärts hinauf. Bis auf eine ausgewählte Minderheit bot die Stadt mit ihren Bewohnern ein willkommenes Ziel. Der Tod wütete wahllos unter der Bevölkerung. Die Alten und Schwachen traf es zuerst.

Unter dem dichten Gedränge taumelten manche orientierungslos und völlig verwirrt umher. Viele wurden niedergetrampelt, zurückgelassen, überfallen oder getötet. Kinder wurden nur allzu schnell von ihren Eltern getrennt, saßen auf dem Bordstein und den unbefahrenen Straßen und weinten und schrieen vor Angst. Frauen und Mädchen beinahe jeden Alters wurden in Gassen gezerrt, in heilloser Wut verprügelt und vergewaltigt. Halbtot zurückgelassen verloren die meisten ihren Lebenswillen und blieben alleine zurück, um zu sterben. Der Mensch legte sein Menschsein ab und gebärdete sich wie ein verwundetes Tier, welches man in die Enge getrieben hat. Schüsse wurden abgefeuert, Feuer gelegt und weitere Scheiben zertrümmert. Wütend wurde auf alles eingeschlagen, was sich in greifbarer Reichweite befand. Eine ohrenbetäubende Explosion ließ jene, welche noch bei klarem Verstand waren mitten in ihrer Bewegung verharren. Ein riesiger Brand breitete sich mit rasender Geschwindigkeit in der Stadt aus. Die Luft wurde knapp. Schwarzer, beißender Rauch und der von Tränengas machte das Atmen schwer. Mit tränenden Augen und brennenden Lungen irrten Menschen hilflos durch die Straßen und suchten nach Sicherheit, die nicht länger vorhanden war. Noch mehr Panik, noch mehr Chaos war stattdessen die unvermeidbare Folge.

Polizisten wurden brutal zu Boden geworfen und nach und nach umgebracht, als wären sie für die kommende Katastrophe verantwortlich. Immer mehr zogen diese sich zurück, schlugen dabei mit ihren Stöcken blindlings in die tobende Menge ein und hielten die wild gewordenen Menschen mit Schilden mühsam auf Abstand. Die Straßen waren übersäht von verstümmelten Leichen. Gebrochene Augen blickten in einen rauchgeschwärzten Himmel. Der Lärm war unbeschreiblich. Einige Soldaten ließen sich von der Raserei anstecken und schossen willkürlich in die Menge, auf alles was sich vor ihren Augen bewegte. Kurzerhand wurde alles zum Feind erklärt, was keine Uniform trug. Doch dies stachelte die Bevölkerung nur noch mehr auf. Endlich erschienenen in der Ferne die Helikopter, welche sie aus dieser Hölle an einen sicheren Ort bringen würden. Schon bald würde die abgeriegelte Stadt entmilitarisiert werden. Einer der Soldaten hob seine Waffe und schoss nach kurzem Zögern einem Jungen in die Schulter, der zuvor einen seiner Kameraden mit einem Stein erwischt hatte. Nicht wenige von ihnen hatten Tränen der Erleichterung in den Augen, als die Fallleiter den Boden erreichte. Schnell entstand eine riesige Traube um die letzten unverschlossenen Tore dort oben, das irgendwohin führen würde, nur weg von hier. Wieder fielen Schüsse, da einige Zivilisten nach nach einer der Strickleitern greifen wollten. Die meisten der Soldaten waren noch umsichtig genug, auf ihre Beine zu zielen und hielten sie mit beständigem Beschuss auf Abstand. Doch noch bevor der Erste von ihnen die Welt da unten hinter sich gelassen hatte, wurden die ersten Raketen abgeschossen. Innerhalb von nur wenigen Stunden gingen weite Teile der Welt in Flammen auf und ganze Völker versanken sterbend in der brennenden Asche ihrer Heimat.

Die Schreie und das Wehklagen verstummten. Und unzählige Leben erloschen wie ausgebrannte Kerzen. Aus dem blauen Planeten ist eine sterbende Wüste geworden. Ganze Städte wurden restlos entvölkert, viele von Menschenhand erbaute Errungenschaften zerschmettert und in Stücke geschlagen. Verloren und vergessen war unersetzliches, in langen Jahrhunderten angesammeltes Wissen. Die wenigen Überlebenden der umliegenden vergangenen Großstädte befanden sich tief unter der verseuchten Erde begraben in sicheren Bunkern. Kaum erwähnenswert jedoch die kümmerlichen Reste der Zivilisation, die außerhalb der Vaults von dem nuklearen Winter mehr schlecht als recht verschont blieben. Flora und Fauna waren fast vollständig vernichtet. Neue Arten von Leben tasteten vorsichtig ihre Fühler über das verlorene Land aus. Für die Menschen, die das zweifelhafte Glück besaßen, in dieser sterbenden Welt überlebt zu haben, begann ein unerbittlicher Kampf ums nackte Überleben.

Ein blutiger Kampf, ausgetragen ohne menschliche Gesetze und Moral auf einem kargen Boden getränkt von heißen Tränen.

Autor: Jessica