Nach dem großen Glitch

Nach dem großen Glitch

Story
Die Story ist in einer Zukunft circa 100 bis 200 Jahre von heute ab gerechnet angesiedelt, die Welt wurde von einer Katastrophe globalen Ausmaßes heimgesucht, ein Riesenmeteorit, der die Zivilisation in Mitteleuropa praktisch zurück in die Steinzeit versetzt hat. In Afrika hingegen hat sich eine technisierte Zivilisation erhalten, die sich „das werk“ nennt. An Bord eines Forschungsschiffes gelangen das Schiffsmädchen Oci und der Steuermann Kabib an die Nordseeküste, die nun 200 km weiter südlich verläuft und brechen zu einer Expedition ins Innere des von Urwäldern überwucherten ehemaligen Bundesgebietes auf. Nur noch vereinzelte Gruppen von Jägern und Sammlern sind übrig, die sich in den Wäldern der Haardt, dem Ruhrtal und im ehemaligen Sauerland in kleinen Kommunen versammelt haben und ein naturnahes Leben führen. Nur wenig Wissen ist aus der Zeit vor der Katastrophe, die sie landläufig nur den „großen Glitch“ nennen, erhalten geblieben. Kabib und Oci werden von einem Stamm aufgenommen, der in Baumhäusern lebt und streng vegetarisch lebt. Nach und nach freundet sie sich mit einem Jungen des Stammes an, auch wenn ihre Lebensweise sehr unterschiedlich ist und sie nicht immer Verständnis füreinander aufbringen. Gemeinsam machen sie sich dann zu einer Reise über die zugewucherten Autobahnen durch das Ruhrtalwatt auf zu einer alten Ruinenstadt an einem großen Fluss im Westen, in deren Betonskeletten die letzten Nachfahren der ehemaligen Stadtbewohner hausen, armselige und gefährliche Kreaturen, die mit Ersatzteilen handeln, welche Oci und Kabib dringend für die Heimreise benötigen.

Eigener Eindruck
Ich war erstaunt, welchen tiefen Eindruck das Buch auch 15 Jahre nach dem ersten Lesen wieder bei mir hinterlassen hat. Das Szenario ist überaus realistisch geschildert und wird insbesondere dadurch so real, dass an vielen Stellen des Buches Ortsbezeichnungen und Beschreibungen auftauchen, die den Vergleich mit den bekannten Orten aus meiner näheren Umgebung erlauben. Die Überreste der untergegangenen Zivilisation, von den Waldbewohnern ebenso furchtsam gemieden wie deren Technologie, lassen den Schluss zu, dass die Katastrophe sich irgendwann in unseren Tagen ereignet haben muss. Gleichzeitig thematisiert das Buch auch die Abkehr von unserer selbstzerstörischen Lebensweise heutzutage, die von den Öko-Kommunen der Waldbewohner praktiziert wird. Insofern erscheint der Stamm, der Oci und Kabib bei sich aufnimmt, auch eher als fortschrittlich denn als rückständig gegenüber der brutalen, darwinistischen Werks-Zivilisation, die mit der Lebensweise der Waldkommune aufeinanderprallt. Die Begegnung zweier Kulturen zeigt hier auch sehr eindringlich das Potenzial auf, voneinander zu lernen. So haben die Waldbewohner z.B. Naturheilverfahren entwickelt, die in der Werksgesellschaft unbekannt sind, und nutzen Sonnenenergie zum Backen und Kochen.

Fazit
Unterm Strich ist das Buch wirklich herausragend, weil es nicht nur einfach eine gute Story erzählt und ausgesprochen gut geschrieben ist, sondern weil es auf einer zweiten Ebene den Leser ständig zur Reflektion über alternative Lebensweisen und den Konflikt unterschiedlicher Kulturen anregt. Die gerade einmal 200 Seiten hat man in einem Tag durchgelesen, insofern eignet sich das Buch gut als Lektüre für verregnete Urlaubstage oder für einen Schmökersonntag im dunklen Januar. Und als reines Jugendbuch kann man „Nach dem großen Glitch“ auch nicht bezeichnen, es liest sich als „Erwachsener“ (ich halte nicht viel von dieser willkürlichen Unterteilung anhand des Lebensalters) genauso gut, wenn auch aus einer vielleicht etwas anderen Perspektive.

Autor: Dr_Baltar