Vier Brüder:
Helle Sterne leuchteten am Himmel und ein knisterndes Feuer spendete warmes, flackerndes Licht. Die Nacht war mild. Ein leichter Wind wehte von den nahe gelegenen Hügeln herab, doch er war angenehm erfrischend und nicht einschneidend kalt.
Louis hockte gemeinsam mit Dozer, Rupert, Mary und Sisco am Lagerfeuer und malte mit dem Zeigefinger undefinierbare Symbole in den aufgeweichten Erdboden. Er war ein junger Mann von 17 Jahren, hochgewachsen, drahtig, schlank. Sehr schlank sogar - ja beinahe hager und optisch an der Grenze zur Unterernährung. Es gab eine Zeit, nun schon lange zurück, da entsprach dies sogar den Tatsachen. In jungen Jahren hatte er sich oft erbrochen und sein Essen kaum herunterbekommen. Man belächelte ihn, deswegen und wegen anderer Dinge. Er stotterte, war geistig leicht zurückgeblieben, außerdem tollpatschig noch dazu. Die anderen nahmen ihn meist nicht ernst, machten ihre Späße auf seine Kosten, doch ihm war es gleich. Lachten sie ihn aus, so lachte er mit ihnen und war glücklich, denn sie waren seine Familie...
Ein kaum überhörbares Poltern in unmittelbarer Nähe weckte allgemeine Aufmerksamkeit. Ein kleines Häuschen - keine 30 Meter von ihnen entfernt - fiel lautstark in sich zusammen. Das aus morschem Holz, Wellblech und Schrott zusammengezimmerte, einstöckige Gebäude gab den Kampf gegen das Fegefeuer nach bitteren Stunden endgültig auf und verging in der Hitze der Flammen. Die anhaltende Briese trug feine Asche durch das umliegende Ödland, während dicke, schwarze Rauchschwaden beinahe unsichtbar in den Nachthimmel zogen. Mary's Blick lag teilnahmslos auf dem spektakulären Niedergang ihres alten Heims. Es war ihr egal. Mittlerweile war ihr alles egal...
"Tja, da geht es hin. Eigentlich ein Jammer...", sinierte Rupert beinahe wehleidig, während er sein Messer nahm, es in ein Stück Fleisch vergrub und zum Mund führte. Er tätschelte mit der freien Hand nach Mary's nacktem Oberschenkel. Sie sagte nichts, sondern starrte weiterhin geistesabwesend in die Ferne. Louis gluckste vergnügt und blickte mit strahlenden Augen in das wunderschöne Spiel aus Licht und Schatten. "Iss endlich was, Dürrhaken.", wurde er von Sisco aufgefordert. Louis sah ihn an. Sisco war sein Freund, der einzige, der keinen Schabernack mit ihm trieb. Er liebte ihn, so wie er vielleicht auch seinen zweiten Bruder Dozer hätte lieben können, wenn dieser ihn nicht immerzu verhöhnen und prügeln würde. Oder Rupert, den Dritten der Vier, der sich immer für etwas Besseres hielt und sich um die Streitereien der anderen nicht viel scherte. Doch Louis trug es ihnen nicht nach. Jetzt wo Ma und Pa nicht mehr da waren, mussten sie eben alle zusammenhalten. Sie hatten schwere Zeiten hinter sich und es war nicht leicht gewesen, die Erinnerungen an die Eltern zu vergessen, wie sie gesteinigt und aufgeknüpft ein qualvolles Ende gefunden hatten.
"K-K-Klar, S-Sisco.", nickte Louis mit einem breiten Grinsen im Gesicht und kroch auf allen Vieren näher an Sisco heran. Seine Jeans färbten sich dunkel, als sie über den durchtränkten Boden rutschten. Sisco reichte ihm seine lange Klinge und der junge Louis vergrub sie tief in den abendlichen Fang der Vier. Ungeschickt bohrte er im Fleisch herum, bis er schließlich einen faustgroßen Brocken herausgetrennt hatte, ihn in die Hand nahm und seine Zähne darin vergrub.
"Schmeckt echt nicht übel, was?! Nicht so zäh und vernarbt wie beim letzen Mal...", meldete sich der fette Dozer zu Wort. "Leider war die Kuh hier schon paar Tage zu alt, aber... Nnn." Er verzog das Gesicht und spuckte eine Schrotkugel ins Feuer, welche sich in seinen Zähnen verfangen hatte. Kurz keimte leichter Ärger in ihm auf, doch dann warf er einen dreckigen Blick zur Seite und wurde wieder ruhig. Einen Meter weiter lag ein kleines Etwas im Dreck, zusammengeschnürt und weichgeprügelt. Es da liegen zu sehen, bändigte den Zorn des Dicken und steigerte seine Vorfreude.
Der debile Loius beobachtete alles. "D-D-Den d-darf ich a-auch a-abschießen, ja?!", wollte er schmatzend wissen. Mittlerweile hatte er sich an das Essen gewöhnt und es hob ihn nicht mehr bei dem Anblick, dem Geruch oder dem Geschmack. Schießen war außerdem lustig und machte Spaß! "Den knallen wir nicht ab, du Idiot!", schnauzte Dozer in herablassendem Ton zurück. "Wozu denn?! Wir haben ihn sicher verpackt... der haut nicht mehr ab! Außerdem taugst du dazu doch sowieso nicht! Wer hat dir Schwachkopf heute eigentlich die Flinte in die Hand gedrückt?! Ich brech mir wahrscheinlich noch nen Zahn an den verdammten Schrotkugeln ab!" Rupert lachte heiser. "Es reicht!", fuhr Sisco dazwischen. "Benimm dich nicht immer wie ein Arschloch, Dozer!", verteidigte er seinen jüngeren Bruder und legte Louis eine Hand auf die Schulter. "Wir schießen ein andermal wieder, Lou. Als nächstes kannst du dann üben, wie man richtig schneidet..." "O-Ok, Sisco.", freute sich Louis, sah zu dem gefesselten Jungen und grinste glücklich über beide Ohren.
Zu Lebzeiten hatte die Witwe Mary einen Sohn. Der kleine Timothy war ihr Sonnenschein und gerade einmal unschuldige 7 Jahre alt, als ihm und seiner Mutter das Schicksal übel mitspielen sollte. Doch das ist eine andere Geschichte...