16. März 1916
Westfront, irgendwo in der Nähe von Verdun.
Regen klatschte förmlich wie aus Eimern auf die graue Masse von Gestalten, die gerade Mal vor wenigen Jahren noch Menschen waren.
Sie hatten Träume, Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte.
Die einzigen Träume die sie jetzt noch hatten, waren meistens viel schlimmer als die Realität, welche an sich selbst schon schrecklich genug war um so manche gute Seele in den Wahnsinn zu treiben.
Der einzige Wunsch der, den meisten hier noch bleibt ist der Wunsch heil aus dieser Hölle auf Erden herauszukommen. Doch dieser Wunsch würde nie wahr werden, denn sie alle waren, selbst wenn sie äußerlich gesund wirkten, doch zumindestens in ihrer Gefühlswelt und ihrer Seele unheilbar verkrüppelt.
Hoffnung gibt es für sie nicht mehr, sie starb im Trommelfeuer des Schlachtfeldes.
Die einzige Sehnsucht, die die Soldaten jetzt noch treibt ist die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden.
Auf die eine... oder andere Art und Weise war einigen von ihnen inzwischen völlig egal, sie hatten soviel Leid gesehen, dass sie nichts mehr schrecken konnte.
~Ich bin schon wieder hier...~
Alexander Andreas Albert Willhelm von Dietzenbach wusste wo er war und dass es sich hierbei wieder einmal um einen Alptraum handelte, welcher ihn seit damals verfolgt, nur selten noch in letzter Zeit, aber dennoch oft genug um ihm einen ungeheuren Schrecken einzujagen, aber zu selten, dass er sich jemals daran gewöhnen könnte.
Er wusste jede Einzelheit die nun folgen würde, aber das Wissen nahm noch lange nicht die Furcht von ihm, denn er konnte es nicht ertragen.
Als er zu seiner linken und zu seiner rechten schaute wurde er sich gewahr, dass er wieder in seinem... nein nicht SEINEM, oder doch?
Damals war es das Schwadron von Joachim Erwin von Hoelck, bis zu diesem Tag.
Sie alle trugen Gasmasken, wie auch ihre Pferde welche trugen.
Nachdem das deutsche Kaiserreich zum ersten Mal Giftgas als Waffe in Ypern in Flandern eingesetzt hatte, begann auch die Entente immer mehr Mengen an giftigen Chemikalien herzustellen um den Feind zusätzlich zu zermürben.
Für die Pferde der Kavallerie, den Spür- und Rattenjagdhunden und die Brieftauben wurden eigens spezielle Gasmasken entwickelt um auch diese vor der tödlichen Wirkung der Gase zu bewahren.
Es hielt sie am Leben, wie auch die normale Gasmaske jeden einfachen Soldaten und Offizier vor dem qualvollen Vergasungstod bewahrte.
Dennoch überlief ihn jedesmal ein kalter Schauer, wenn er auf die graue Masse von Kriegern des deutschen Kaiserreiches blickte und anschließend auf die Pferde mit den gesonderten Gasmasken.
Sie wirkten unnatürlich, furchteinflössend, wie von einer anderen Welt.
Ein leises Stoßgebet verließ seine Lippen, als der Regen nun aufhörte und er sah wie der Himmel sich blutrot färbte.
Plötzlich war von Hoelck neben ihm, im ersten Moment topfit, doch als er ihn genauer betrachtete, sah er, dass der gesamte von einem prachtvollen und dicken Kürass gepanzerte Oberkörper des Adeligen, auf welchem prunkvoll der deutsche Adler prangte, zerborsten war durch fast zwei dutzend Löcher und dass dieser eigentlich völlig zerborsten war.
Das Gesicht von Hoelck bestand nurnoch zur Hälfte aus Fleisch, die andere Seite fehlte und war nurnoch durch die brüchigen Überreste des Totenschädels als solcher zu identifizieren.
Mit einer unnatürlich verzerrten und unmenschlichen Stimme, welche zugleich heiser wie auch kreischend klang forderte Hoelck ihn im Befehlsgewohnten Ton auf: "Pfeifen sie zum Angriff, wir werden die Franzosen überraschen und morgen stehen wir schon an der Seine. Wir haben eine Verabredung mit dem Schicksal..."
Dabei beugte er sich zu dem Träumenden nach links herüber und reichte ihm eine Trillerpfeife, wie sie von vielen Offizieren in der Zeit genutzt wurde um das Zeichen für den Angriff zu geben. Dabei fiel von Hoelck eine Ratte aus der großen leeren, linken Augenhöhle und klatschte quiekend in den Schlamm.
Alex schluckte, ehe er die Trillerpfeife ergriff und sie betrachtete obwohl er wusste, was er sehen würde.
Die Trillerpfeife war von einem schillerndem Weiß, so dass man auf dem ersten Blick annehmen konnte, dass es sich dabei um Elfenbein handelt, aber beim befühlen der Pfeife kam er einmal mehr zu dem Schluss, dass es sich um eine Pfeife aus Knochen handelte... aus Menschenknochen.
Aufeinmal huschten tausende und abertausende von schmerzverzerrten Gesichtern aufeinmal über die Oberfläche der Trillerpfeife und auf einmal war ein schreckliches ohrenbetäubendes Geheuel zu vernehmen, welches erst verstummte, als er Hoelck zunickte und die Pfeife in den Mund nahm, woraufhin diese plötzlich Blut absonderte, welches an seinen Lippen kleben blieb.
Das Trillern der Pfeife war schräg und schrill und wie ein Mann begannen die Dragoner ihren Ansturm, dicht gefolgt von der Infanterie.
Und wieder regnete es vom Himmel herab, aber niemand außer ihm selbst schien das wahrzunehmen und er selbst nahm es nur kaum, aber voller Angst wahr, dass dieser Regen aus Blut bestand.
Als sie auf die Reihen der Franzosen zuhielten wurde er fast taub von dem ohrenbetäubenden Lärm, welcher nun über ihn hinwegbrauste.
~Trommelfeuer...~ dachte er, als sich links und rechts Fontänen des Matsches, des Schlamms und der toten Körper erhoben.
Er hörte ein wildes Trommeln und direkt vor ihm ragte plötzlich eine titanenhafte Gestalt auf, welche auf einer Trommel aus menschlichen Gebeinen und mit Menschenhaut und Uniformen aller Herren Länder bespannt war, ein wildes Solo spielte, welches mit jedem Paukenschlag an Intensität und Geschwindigkeit zu nahm.
Der Titan war korpulent, ja geradezu fett und abstoßend in seiner Gestalt, aber mit jeder verstreichenden Sekunde schien er immer mehr auszumergeln und dünner und schwächer zu werden, während die Trommel vor seinem einst so fetten Bauch immer schwerer wurde, bis er schließlich und endlich als abgemagertes etwas, vielmehr ein mit Haut bedecktes Skelett zu Fall kam und direkt neben ihm auf dem Schlachtfeld landete und 10 der 40 Kürassiere seines Schwadrons unter sich begrub.
Doch dann kamen erst die wahren Schrecken: Zwei weitere Titanen erhoben sich links und rechts von ihm auf dem Schlachtfeld, während der Blutregen an Stärke zu nahm, als auch das Trommelfeuer heftiger wurde und die MGs der Franzosen anfingen abgehackt zu rattern und die Reihen der Soldaten auszudünnen.
Die beiden Titanen stampften wutenbrannt aufeinander zu, der eine trug eine antike Rüstung, hatte Hufe statt Füße und zwei mächtige aus hartem Fleisch bestehende Hämmer anstatt Händen, während der andere schlicht und ergreifend in schwarzes Tuch gehüllt war und eine Sense hinter sich herschleifte, welche uralt wirkte, aber dennoch so glänzte als wäre sie bei bester Wartung jeden Tag im Gebrauch.
Beide von ihnen stampften ohne Rücksicht auf die Soldaten zu nehmen, welche sie unter ihren Hufen, Füßen zermalmten und mit ihren Hämmern und Sense in Stücke rissen.
Wäre Alex nicht schon in einem Alptraum gefangen gewesen, so hätte ihm zumindestens das das Bewusstsein geraubt.
Doch die erlösende Schwärze der Ohnmacht kam nicht über ihn und statt dessen sah er, wie von Hoelck welcher vor ihm ritt von einer MG Salve geradezu zerfetzt wurde, während er selbst nur ein paar Kugeln abbekam, aber sein Pferd Sleipnir unter ihm stürzte und sie beide zu Fall brachte.
Für einen kurzen Augenblick sah er die großen treuen Augen seines Streitrosses, ehe diese plötzlich zerpltzten, genauso wie das Glas der Gasmaskenlinsen und Blut in rauhen Mengen aus ihnen gespritzt kam.
Der junge Adelsspross lag nun im Matsch, aus allerlei Wunden blutend, aber plötzlich half ihm eine Hand auf die Beine.
Er wusste wer es war und er wusste auch, was mit dieser Hand geschehen würde.
Gerade eben bestand sie noch aus geradezu makellosem Fleisch und nichteinmal eine Sekunde später war sie total verottet und verschimmelt, so dass der gesamte rechte Unterarm Hoelcks abbrach und Alex erschreckt aufschrie als er im Matsch landete, welcher alleridngs kein normaler Matsch mehr war, sondern aus den Eingeweiden tausender Gefallener zu bestehen schien.
"Kein Grund zu schreien von Dietzenbach...es ist noch keine Zeit sich auszuruhen...ihre Kameraden tuen es doch auch nicht und schauen sie sie an!" forderte der grinsende Totenschädel Hoelcks ihn auf, während eine Krähe angeflogen kam und ihm nun das rechte Auge auspickte.
Alex wollte sich nicht umschauen, aber er hatte keine andere Wahl.
38 andere Kürassiere, welche mehr oder wneiger tot waren kamen, krochen und humpelten grinsend auf ihn zu.
"Wir haben eine Verabredung mit dem Schicksal...dem Schicksal...dem Schicksal..." und in diesem Moment stürzten sie sich auf den am Boden liegenden nur um eine Winzigkeit später selbst vom Fuße eines der Titanen des Krieges zermalmt zu werden...
Heute 3. September 1922 ein paar Seemeilen östlich von New York:
"Waaaaahhhh!!!" der großgewachsene Mann wachte schweißgebadet und total verstört auf und schlug sich fast den Kopf an der niedrigen Decke der Massenkabine der 4. Klasse. Gehetzt schaute er sich um und atmete schnell und beunruhigt und alles andere als leise, was ihm das Murren einiger anderer Reisender der untersten Klasse von Transatlantikreisen einbrachte.
Er spührte das leichte Schwanken des Schiffes und er war erleichtert.
Er war auf der Glory of the Queen einem englischen Transatlantikdampfer, auf welchem er sich für seine Reise nach New York befand und welches vor knapp zwei Wochen kurz auf die Millionenmetropole genommen hatte.
Wenn er mit seiner zeitlichen Einschätzung richtig lag und er nicht länger als einige Stunden geschlafen hat, dann dürfte heute der 3. Spetember 1922 sein, mehr als 6 Jahre nach diesem furchtbaren Tag.
Er war nicht gerne hier, aber aus einem bestimmten und vor allem wichtigen Grund.
Gesitesgegenwärtig glitt seine rechte Hand zu seinem alten Reisekoffer, welcher wahrlich schon bessere Tage gesehen hatte.
Zu seiner Erleichterung war er noch da und schnell stand er auf, den Koffer mit seiner Pranke fest am Griffe umschließend, ehe er die Massenkabine verließ um zu einem der Baderäume der 4. Klasse zu kommen.
Er hatte ein schales Gefühl im Mund und war total ausgetrocknet. Außerdem hatte ihn die Müdigkeit noch immer in ihrer Gewalt und er wollte um keinen Preis der welt erneut einschlafen.
So ging er zügig zu einem der Wachsräume, trank etwas Wasser aus dem Hahn und machte sich anschließend auf dem Weg zum Oberdeck.
Zur gleichen Zeit an drei verschiedenen Orten:
Jessica Moss ist gerade mit ihrer Morgenhygene fertig gewesen, als plötzlich ihr Telefon klingelte, welches knapp 10 Stockwerke unter ihr mit der Rezeption des Asturias verbunden war, DEM Grand Hotels New Yorks. Sie hatte noch immer einen weißen Bademantel aus Seide an, auf dem exotische rote Blüten abgebildet waren.
Bao Chang kommt gerade mit einem Beutel voller Beute, überwiegend Kunstgegenstände zurück zu der kleinen Bruchbude seiner Eltern zurück welche noch immer schliefen, als er genau unter dem Türspalt einen weißen Briefumschlag entdeckt.
Samantha Jones räckelt sich gerade in ihrem kleinen schmutzigen Bett zuhause ine einer der großen schmutzigen Mietskasernen Brooklyns wo die meisten Angehörigen der sozialen Unterschicht ihr kümmerliches dasein fristen.
Leicht kitzelt sie die Sonne welche matt durch die dreckigen und zum Teil auch eingeschlagenen Fenster scheint, an der Nase und bringt sie mit einem Nieser zum aufwachen.