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Ein Ende

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Pershing:
Mit zitternden Fingern, schweißnassen Händen und panischer Angst kauerte sie am Boden.
Schmerzen zogen vom rechten Schenkel aus durch ihren gesamten Körper.
Sie war verdammte neunzehn Jahre alt, wesentlich zu jung zum Verrecken.
Das Blut am Boden wurde laufend durch weitere Tropfen langsam zu einer regelrechten Pfütze ergänzt. Die glutheiße Patronenhülse, die darin lag, dickte die Suppe ringsum zu schwarzrotem Matsch ein.
"Bitte, Gott!" flüsterte sie leise. "Gibt es Dich?"
Dann repetierte sie krachend ihr M4 Carbine durch und sah der völlig intakten Patrone dabei zu, wie sie erst an die Wand neben ihr knallte und dann ein wenig nachhoppelnd über den verdreckten Betonboden kollerte.
Das Geräusch hatte etwas Mächtiges in sich, etwas Beruhigendes. Man fühlte sich stärker und gefährlicher, wenn man wußte, daß man es selbst verursacht hatte.

Natürlich war das Eintauchen in diesen Tunnel ein Fehler gewesen. Aber die Erkenntnis war an dieser Stelle des Geschehens ein wenig zu spät in ihr Gehirn vorgedrungen. Die roten Rinnsale in ihrem Gesicht, an denen entlang sich das Blut des soeben Erschossenen nach unten hantelte, um dann von ihrer Wange in den freien Fall zu tropfen, bestätigten diese Neubewertung der Sachlage überdeutlich.
Wieso zuckte er noch? War er nicht längst tot?
Sie drückte den Abzug durch und nagelte eine weitere Burst-Salve durch die klebrige Masse, die noch vor einer Minute ein denkender Kopf gewesen war. Das tief ins Trommelfell schneidende Echo hallte gespenstisch an den nackten Betonwänden wider.
Was für ein idiotischer Selbstbetrugsversuch.
Sein Bein vibrierte immer noch wie unter Schüttelfrost.
Das durfte doch alles nicht wahr sein!

In diesem zusammengesackten U-Bahnschacht vor ihr kroch ein nahezu lebendig wirkender Nebel über den erkalteten Gleissträngen dahin. Schemenhafte Bewegungen könnten darin sichtbar sein ... oder auch nicht.
Waren ihre paranoiden Blicke einer Überinterpretation zum Opfer gefallen in diesem Moment?
Sollte sie schießen?
Oder abwarten?
Oder den Rückzug antreten?
Oder entschlossen weitermarschieren und jedem dieser verfickten Raiders die Scheiße aus dem Schädel pusten?
Wenn diese würgende Angst nicht wäre.
Wenn sie klar denken könnte.

Sie richtete sich auf.
Ihre Augen verfolgten aufmerksam das trippelnde Etwas, das an der Sichtkante der nächsten Kurve in Bewegung geraten war.
Maulwurfsratten!
Diese ekelerregend herumrotzenden Biester waren ihr kleinstes Problem momentan.
Da hatte sie ganz andere Sorgen.

An der nächsten Ecke ging sie in katzenhafte Pirschbewegungen über. Flackernd zuckte das Licht des Nuka-Cola-Automaten neben ihr im Sekundentakt auf. Jeder Meter vorwärts war eine Qual.
Immer noch quoll Blut aus dem Durchschuß in ihrem Bein.
Immer noch zitterte sie so intensiv, daß ein Blick durch das Zielfernrohr genau gar nichts brachte. Die nächsten Schüsse würde sie über die Länge der Waffe auf den Lauf hinvisieren müssen. Schätzen ... sozusagen. Pi mal Daumen!

Leise klackte eine Blechdose unter ihrem Fuß zur Seite. Sie erschrak bestialisch von dem Geräusch.
Ihre Nerven lagen vollkommen blank. Ihre Finger fühlten sich taub an, als würden sie nicht zu ihr gehören.
Sie schloß für eine Sekunde die Augen. Suchte nach einem kurzen Moment der Realitätsausblendung hinter ihren Lidern.
Dann öffnete sie dem spärlichen Licht den Zugang zu ihren Pupillen wieder.
Bevor sie das Bild vor sich erneut scharf gestellt hatte, drückte sie den Abzug.
Ohrenbetäubend laut spuckte das Sturmgewehr in ihren klammen Fingern den Tod aus.
Die Silhouette vor ihr sackte zu Boden.
Treffer!
Töten war so einfach.
So unspektakulär.
Als wäre es ganz normal.
Es war ganz normal hier.
In dieser Welt gehörte es zum Alltag.
Hatte es einmal eine andere Zeit gegeben ... irgendwann?
Wen interessierte das heute noch?

Sie schlich geduckt auf den liegenden Körper zu.
Schon von Weitem konnte sie dieses schreckliche Wimmern hören, das sich tief in ihre Erinnerung brannte. Sie würde in vielen kommenden Nächten schreiend erwachen, weil ihre Alpträume sie mittels dieser reproduzierten Laute zur Verantwortung ziehen würden. Das wußte sie jetzt schon mit felsenfester Sicherheit.

Das junge Mädchen zu ihren Füßen wand sich vor Schmerzen.
Verzweifelt versuchte ihr Körper eine Haltung einzunehmen, die etwas weniger weh tat, aber es schien ihr nicht zu gelingen. Ihre Arme hatte sie in verkrampfter Umklammerung über ihren Bauch geschlagen, ihre Füße scheuerten sich aneinander wund, weil ihre kollabierenden Nervenstränge die Kraft der Zuckungen dazwischen nicht mehr dosieren konnten.
Mit dezentem Rot verquollener Speichel sabberte aus ihrem Mundwinkel.
Das kleine, zierliche Raider-Mädchen focht gequält winselnd ihren allerletzten Kampf in diesem Dasein aus.

Sie starrte mit kaltem Entsetzen im Blut auf das grauenhafte Bild vor ihr.
War SIE das gewesen?
Hatte IHRE Hand das hier angerichtet?
Aber ... sie wollte sich doch nur verteidigen.
War sie überhaupt angegriffen worden?

Langsam ging sie in die Hocke über.
Was sie dabei empfand, war Hilflosigkeit.
Mit dem unsagbaren Leid dieses halben Kindes konnte sie nicht umgehen. Und schon gar nicht mit der Tatsache, daß sie selbst dafür verantwortlich war.

Die strahlend blauen Augen der Getroffenen waren von furchtbarer Angst erfüllt.
Wie hübsch sie war! So zart und unschuldig wirkend. In einer anderen Welt wäre sie wie eine Göttin hofiert worden von den Blicken der beeindruckten Männer ringsum. In dieser Welt aber quoll der Inhalt ihrer zerfetzten Gedärme durch ihre perforierte Bauchdecke hervor, während sie einem langsamen Tod entgegenblicken mußte.
Ihre Arme reckten sich zitternd empor.
In ihrem Blick war eine flehende Bitte enthalten.

Sie zögerte einen Augenblick.
War unsicher.
Hatte noch mehr Angst.
Nur mit Mühe konnte sie die Kraft aufbringen, es wirklich zu tun.
Aber dann beugte sie sich zu dieser sterbenden Seele hinab und nahm sie tatsächlich in die Arme, drückte den zitternden Körper des Mädchens fest an sich und streichelte ihr sanft über den Kopf.
"Schhhht. Ganz ruhig. Hab keine Angst. Bitte hab keine Angst. Ich bin hier. Ich bin bei Dir. Ich lass Dich nicht allein. Ich lass Dich nicht allein..." flüsterte sie dem Mädchen leise ins Ohr.
Sie konnte die Nässe in ihren Augen bemerken, fühlte die erste Träne langsam über ihre Wange schleichen.
Sanft wiegte sie den verkrampften Körper hin und her, wie ein Baby, dessen Schreien man mit aller Kraft unterbinden wollte, indem man es die Nähe und Wärme eines liebenden Menschen fühlen ließ.

Suchend tastete sie mit klammen Fingern in die Tasche an ihrem Gürtel und zog einen Knäuel Morphium-Injektoren daraus hervor.
Dann ließ sie diese neben sich in greifbarer Entfernung fallen.
Mit einer Hand drehte sie die erste der Spritzen in die richtige Haltung.
Langsam führte sie diese an den Schenkel der Sterbenden in ihren Armen und drückte den Auslöser.
Zischend durchbrach die Nadel die junge, weiche Haut und ergoß den Inhalt der Kanüle in das zuckende Gewebe darunter.
"Es tut so weh." wimmerte das Mädchen. "Es tut so WEH!"
"Bald ist es vorbei. Hab keine Angst mehr. Hab keine Angst!" wisperte sie erneut an die Trommelfelle der zerbrechlichen Raiderin.
Dann zog sie die nächste Spritze in eine wirksame Position.
Sekunden später begann das fiebernde Zittern der verzweifelt um sie geklammerten Arme etwas nachzulassen.
Der flach hechelnde Atem der Kleinen wurde einen Deut ruhiger, entspannter.
Der dritte Autoinjektor entlud seine erlösende Fracht in ihre Blutbahn.
Dann der vierte.
Zusehends erschlafften ihre Bewegungen, lockerte sich ihr panischer Griff.
Schließlich sackte sie erloschen aus diesem Dasein.
Eingeschläfert wie ein reudiger Köter.

Das Mädchen war wieder allein in der kahlen Betonstille des Tunnels.
Entmutigt ließ sie die Tote sanft zu Boden gleiten.
Dann drückte sie die ermatteten Lider ihrer wunderschönen blauen Augen mit zwei Fingern vorsichtig nach unten.

"Bitte!" wisperte sie kaum hörbar in die Schwärze der eiskalten Dunkelheit. "Gott! Gibt es Dich...?"

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Gewidmet den Opfern von Waffengewalt überall auf diesem Planeten.
In schweigender Furcht ...
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Surf Solar:
Sehr gut. Gefaellt mir wirklich sehr und krasser Einstand im Forum.

Gut gemacht!

Cerebro:
Bester Text, den ich seit einer guten Weile hier gelesen habe.
Du kannst dich hervorragend ausdrücken und die Atmosphäre ist extrem dicht und lässt den Leser direkt in die Geschichte eintauchen.

Willkommen im Forum btw. :)

Pershing:
Wow! Danke für Euer Lob, Leute und die Begrüßung hier. Ich hab viele der Texte hier gelesen, bevor ich mich entschloss, selber auch was zu posten. Ich denke, wenn ich auch als guter Schreiber bezeichnet werden kann, bin ich hier in bester Gesellschaft.
Eine tolle Sammlung an Literatur, wo man gern einen Teil beiträgt.

Jessica:
Dein Text hat auf jeden Fall etwas, dass meinen noch fehlt. Sehr genial.

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