Jagged Alliance hat mich immer fasziniert. Seit den frühen 2000ern spiele ich JA2 immer mal wieder und kriege spätestens in Cambria gründlich die Fresse poliert und damit endet dann mein Durchgang für die nächsten 2-3 Jahre, bis ich wieder Bock auf diese irre Mischung aus Söldnertaktik, Mikro- und Makromanagement, Rollenspiel und Adventure bekomme.
Grafik, Sound, Musik, die einprägsame deutsche Sprachausgabe mit ihren skurrilen Sprüchen und Akzenten:
Das alles hat so viel Persönlichkeit, so eine einzigartige DNA, dass es unmöglich reproduzierbar sein kann.
Nach einigen Bauchlandungen vom einigermaßen brauchbaren, aber irgendwie entgleisten Back in Action bis hin zum lächerlichen Flashback kommt jetzt ein richtiger echter Nachfolger mit einer "3" im Titel.
Haemimont Games haben designt und entwickelt, als ob sie es ernst meinen. Und davor muss man einfach den Hut ziehen, auch wenn JA3 beim Absprung gestolpert und knapp vor der Rekordmarke mit dem Gesicht im Sand gelandet ist. Das klingt viel schlimmer als es ist. Nicht vergessen: Alle anderen Versuche der letzten 20 Jahre, haben sich schon beim Loslaufen beide Beine und einen Arm gebrochen.
Es ist ein sehr, sehr gutes Spiel geworden mit dem ich so viel mehr Spaß habe, als ich gedacht hätte.
Die Kämpfe sind anders und hier sollten alle JA2 Veteranen und Profitaktiker für sich selbst entscheiden und einen feuchten Kehricht auf meine Meinung dazu geben. Ich bin grottenschlecht in dem Genre.
Ich spiele auf den leichtestmöglichen Einstellungen, finds fordernd, aber auch unglaublich befriedigend.
Zum einen weil Overwatch absurd mächtig ist und ich dieses Feature im Kampf in 80% aller Fälle allen anderen Möglichkeiten vorziehe. 10 der verbleibenden 20 sind Granatwürfe mit Barry.
Zum Anderen, weil ich den Eindruck habe, dass im Hintergrund ein Regisseur seine Magie wirkt und zugunsten der Dramaturgie die Würfel hier und da zu meinem Vor- oder Nachteil fallen lässt. Was ich meine: Es gibt relativ häufig Situationen, in denen eine Kampfhandlung entgegen aller Vernunft und Wahrscheinlichkeit völlig daneben- oder genau ins Schwarze geht. Und das sind jedes Mal geile Momente.
Und das ist der Kern des Spiels. Die Gefechte machen einfach einen wahnsinnigen Spaß.
Beim Strategischen Überbau gibt es allerdings Verbesserungspotential.
Erstmal für die Veteranen: Bobby Rays gibts nicht mehr. Bewaffnung also nur im Feld.
Der Blumenhändler für u.A. Begräbniskränze ist verstorben und der Betrieb verübergehend eingestellt.
Diamanten und andere Wertsachen können direkt aus der Hosentasche zu Geld gemacht werden, das direkt auf dem Konto landet. Ich glaube, das war damals auch anders.
Waffen findet man also nur in der Umgebung oder bei erledigten Feinden. Diese lassen sich mit einem fähigen Mechaniker im Team gut reparieren und mit "Parts" und ggf. besonderen Items (Linsen, Mikrochips, Stahlrohren), direkt im Feld modifizieren und aufwerten. Oder einfach zerlegen...wodurch man "Parts" erhält.
Es gibt einige Sektoren, in denen man Ausrüstung kaufen kann, aber da gibt es keine Händler und ein angemessenes Interface, sondern Weltobjekte wie Tische auf dem Fleamarket, mit dem Interaktionshinweis "Kaufe modifizierte MP5 für 2500 $" oder "Kaufe Messer für 1000 $"
Das ist unübersichtlich, intransparent und...irgendwie einfach nicht Jagged Alliance
Koordinierte Angriffe auf feindliche Sektoren mehrerer Teams sind entweder unmöglich oder ich habe die Funktion dafür nicht gefunden. Sobald ein Reiseziel gesetzt ist, springt die Uhr auf LOS und egal wie schnell ich pausiere und das andere Team losschicke, es wird niemals recht- oder gleichzeitig mit dem anderen ankommen.
Generell: Das Management der Teams und ihrer Inventare ist ein unglaublicher Krampf, auf den ich keine Lust habe. Items und Munition untereinander tauschen und aufteilen ist eine so entsetzliche Klickorgie, dass ich kurz davor bin, das B-Team nur als Abfangjäger für feindliche Truppen zu nutzen und gar nicht erst in die Taktikansicht zu gehen.
Und noch ein dicker Minuspunkt: Gefechte in Innenräumen und besonders in mehrstöckigen Gebäuden sind ein ziemlicher Gehirnkrampf. Das ist extrem unübersichtlich.
Optisch und akustisch ist das alles erste Sahne. Von der Musik bin ich positiv überrascht. Teils orientiert man sich hier am Vorgänger, aber es gibt auch einige sehr schöne Ohrenschmeichler, die sich gut ins Setting einfügen.
Und nun zu den Söldnern... Ich war direkt in Omryn verliebt.
"Don't worry. Omryn is best tracker. I have snack and then go."
Und auch die alten AIM Eisen und Neuzugänge sind zwar leider, leider nur auf englisch, aber passend vertont.
Nur ist aus der Begeisterung für zum Beispiel besagten Omryn in den letzten 15 Stunden ein Gefühl des Belästigtwerdens geworden. Ich bin kurz davor, ihn stehen zu lassen, wenn er sein Bedürfnis nach "Nap" oder "Snack" und seine Gähnlaute nicht für sich behält.
Von Livewire ganz zu schweigen. Die äußert sich bei jedem Befehl mit den Reaktionen "So Bossy!" oder "Where's my 15 minute break".
Ja, das kann man Persönlichkeit nennen. Man kann sie aber auch der nächsten Hyäne zum Fraß vorwerfen, wenn sie sich nicht zusammenreißt und sich ihrer Profession entsprechend zu verhalten bereit ist. Es nervt!
Ansonsten ist das Writing immerhin nicht so schlimm. Es gibt ein paar witzige Momente, einige gut geschriebene, aber auch viele Rohrkrepierer. Auf keinen Fall nehme ich Steroid ins Team. Der hing mir schon bei den Preview Lets Plays aus den Ohren.
Technisch muss dringend nachgebessert werden. Mein Rechner ist alt. Abgesehen von der Grafikkarte hat der 7 Jahre auf dem Buckel (jaja, ich arbeite dran - guckt euch mal die Preise an, ey), aber 6700K, 16GB RAM und meine RTX 3070 sollten dicke reichen.
Für RTX Besitzer: Unbedingt DLSS2 und Downscaling einschalten. Das hilft schonmal.
Aber hin und wieder gibts Performanceeinbrüche seltsamster Art. Dann reagiert das Spiel kurz nicht mehr auf Eingaben, während aber scheinbar alles weiterläuft und registriert diese dann doppelt, wodurch mir in den Kampfrunden schon absurd dummer Mist passiert ist, was zum Quickload führt.
Etwa wenn der Druck auf die Y Taste für Overwatch direkt bestätigt und der Sichtkegel in einer Richtung liegt, in der es gar keine Gegner gibt.
TL;DR nach 20 Stunden:
Gutes Spiel. Kann man kaufen.
Freue mich auf Patches und Mods.
7.5/10
EDIT:
Kleiner Anhang nach 40 Stunden: Ich muss nochmal hervorheben, wie irre ich den Detailgrad und Abwechslungsreichtum der einzelnen Sektoren und die Masse an unterschiedlichen Assets finde. Es gibt so viele Kleinigkeiten zu entdecken, die eher keinen Einfluss auf das Gameplay haben, aber die Maps extrem stimmungsvoll machen. Hier gibts kaum Sektoren, wo einfach mit einem Foliage Brush Flora platziert wurde.
Es gibt natürliche überwucherte Felstunnel, Erdrutsche, Schluchten, Felsklippen, staubige Serpentinen um den Tagebau, es wiegen sich Floßkonstruktionen (und Leichen) im Sumpf, Betonfestungen aus dem 2. Weltkrieg laden zu ober- und unterirdischer Erkundung ein, es gibt Shantytowns, in die Jahre gekommene Kolonialbauwerke, aufgegebene Fabrikruinen, provisorische Unterstände und Feldlager im Dschungel und in der Wüste...
Einfach toll. Bei der Produktion und dem gekonnten Einsatz der Assets wurde sich hier wirklich mal ins Zeug gelegt.