Autor Thema: Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt  (Gelesen 3623 mal)

Offline Balthasar

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Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt
« am: 10. August 2009, 20:40:21 Uhr »
Ich dachte, ich trau mich mal ;)...

Die Rückkehr

Es war ein schwüler Sommerabend im August. Chris saß mit seinem Vater und seinem jüngerem Bruder am Ufer des kleinen Sees vor ihrem Haus. Sie hatten es sich dort mit ein paar Dosen Bier  gemütlich gemacht und unterhielten sich lebhaft. George, Chris' Vater angelte nebenbei, so wie er es immer tat. Und so wie immer würde sein Fang, wenn es überhaupt einen geben würde, nicht für ein Abendessen ausreichen. Allerdings störte das niemanden, schon gar nicht George selbst. Er genoss es einfach, sich hier mit seinen beiden Jungen in Ruhe über Gott und die Welt, über Frauen und Autos und über die Familie zu unterhalten. Ihr Haus lag am Rande eines kleinen Waldes und war dicht an den See gebaut. Es gab zwar einen Steg, der ins Wasser führte aber die Anschaffung eines Bootes hätte sich hier nicht gelohnt. Mit einigen wenigen Ruderzügen würde man das andere Ufer erreicht haben. Viele Fische gab es hier freilich auch nicht aber ansonsten war die Idylle perfekt. An Abenden wie diesem konnte man hier herrliche Sonnenuntergänge miterleben und die Ruhe dieses abgeschiedenen Stücks Erde genießen. Wann immer Chris konnte kam er hier heraus aufs Land. Vor etwa zwei Jahren hatte er sein Studium beendet und war in das nahe gelegene San Francisco gezogen um eine Stelle im mittleren Management anzutreten. Er verdiente nicht schlecht und unterstützte die Familie wo er konnte. Das Haus seiner Eltern war schon etwas in die Jahre gekommen und musste ständig ausgebessert werden. Nicht ohne einen gewissen Stolz hatte er erst vor kurzem eine Firma damit beauftragt, das Dach zu erneuern und die Fassade zu streichen. Er fand, das war das wenigste, was er für seine Eltern tun konnte. George sträubte sich immer etwas, seine Gaben anzunehmen aber schlussendlich war er dankbar für jede Arbeit, die ihm seine Söhne abnahmen. Jonathan, der jüngere von beiden, war gerade dabei, sich für ein Stipendium zu bewerben und so wie es aussah, würde er an der hiesigen Universität aufgenommen werden. Die Gespräche drehten sich folglich um seine Zukunft und die Pläne die er hatte.

"Hey Chris, sind die Mädels auf dem College wirklich so wild wie immer behauptet wird?" Jonathan - von seinem größeren Bruder auch liebevoll „Gebirgsjäger“ genannt, weil er es nicht lassen konnte jede Frau, die ihm halbwegs gefiel, anzubaggern und weil er zudem auf Doppel D Brüste stand - grinste ihn von der Seite an. "Du solltest dir weniger über die Frauen und mehr um deine Laufbahn Gedanken machen, mein Sohn!" antwortete ihm sein Vater. "Ach komm schon Dad. Von dir lern' ich immer nur, wie man sich einen Turnschuh angelt." Chris musste lachen und auch die ernste Miene von George verzog sich zu einem leichten Grinsen. "Apropos Mädels Chris. Wie läuft es denn mit dieser Beatrice. Du hast sie uns noch gar nicht vorgestellt. Deine Mutter würde sich sicherlich freuen sie mal ein Wochenende lang bei uns zu haben um sie näher kennen zu lernen." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu "Und ich natürlich auch." Chris war erst ein paar Wochen mit ihr zusammen und hatte den dummen Fehler begangen, sie seiner Mutter gegenüber zu erwähnen. Nun drängte ihn natürlich alle Welt dazu, sie vorzustellen. Noch bevor er etwas antworten konnte schrie sein Vater: "Hey! Ich glaube ich hab einen." Und tatsächlich. Die Angel verbog sich leicht und bewegte sich mal nach links und mal nach rechts. Sein Vater stand auf und versuchte dabei den Fang an Land zu ziehen. "Ich wette er ist weiß, mit schwarzen Schnürsenkeln." keifte Jonathan. Chris spuckte das Bier wieder aus, das er gerade trank, um sich vor Lachen nicht daran zu verschlucken. "Ja, ja. Nur zu! Mach dich ruhig lustig. Ich weiß schon wer heute keinen Fisch zu essen bekommt." entgegnete ihm sein Vater. "Mann ist das ein schwerer Brocken. Jungs, haltet mich mal fest. Ich glaub den schaff ich nicht allein." George taumelte wirklich etwas, wie Chris auffiel. Das musste wahrhaftig ein großes Ding sein. Als die beiden Söhne ihrem Vater zu Hilfe kamen bemerkten auch sie sofort, dass er nicht übertrieben hatte. Immer stärker zog es an der Angel und alle drei hatten Mühe damit, das Gleichgewicht zu halten. "Verdammt! Was kann das sein? Haben wir hier überhaupt solche großen Biester?" fragte Jonathan in die Runde. Mit einem Mal gab es einen kräftigen Ruck und die drei lagen halb an Land und halb im Wasser. George hatte die Angel nicht losgelassen und seine beiden Söhne mitgerissen. Alle lachten über diese Peinlichkeit während sich die Angel selbständig und aus dem Staub machte. Chris hielt sich den Bauch und hatte vor lauter Lachen schon Tränen in den Augen. "Oh Mann, das muss ein Siebenmeilenstiefel gewesen sein." Er sah in das Gesicht seines Bruders der ihm gegenüber stand, den Blick auf den See gerichtet. Doch anstatt eines Grinsen sah er, wie sich dessen Ausdruck verfinsterte und blankem Entsetzen wich. Chris war verblüfft und drehte sich um. "Was zum Teufel...?" Er sah wie sich der Wasserspiegel langsam senkte. In der Mitte klaffte ein riesiges Loch und der ganze See bildete einen Strudel ringsherum, so als ob jemand den Stöpsel einer Badewanne gezogen hätte. Plötzlich riss ihn etwas von den Füßen und er trieb, in Spiralen kreisend, auf die Mitte des Sees zu. Er sah seinen Vater und seinen Bruder am Ufer stehen. Sie winkten ihm zu, sahen dabei aber aus wie Marionetten an unsichtbaren Fäden.

Immer schneller drehte er sich und langsam wurde ihm übel dabei. Eine schreckliche Panik erfasste ihn als er unter Wasser gezogen wurde. Unfreiwillig glitt er hinab, in die Schwärze des Lochs. Alles verblasste zu einem dunklen Grau. Er konnte nichts sehen oder hören. Seine Glieder waren taub und ihm wurde mit einem Mal schrecklich kalt. Er hatte das Gefühl ersticken zu müssen. Sein Herz schlug wie wild und dröhnte ihm in den Ohren. Doch da war noch etwas. Erst konnte er es nicht richtig wahrnehmen doch langsam wurde es das Geräusch immer lauter. Dann ebbte es etwas ab um erneut anzuschwellen. Es hörte sich an wie die Brandung am Meer. Welle auf Welle, die gegen Fels stieß. Es war das einzige was er noch wahrnahm und er versuchte sich darauf zu konzentrieren. Das Geräusch wurde immer ohrenbetäubender und gewann langsam an Struktur. Mit Meeresrauschen hatte das nichts mehr zu tun, wie er feststellen musste. Eher wie eine Art Wortschwall. Ja das war es! Es waren Worte die da regelrecht auf ihn einprasselten. Aber er verstand sie nicht. Alles war so unklar und unverständlich. Doch die Worte wurden klarer und langsam konnte er sie vereinzeln "..Ak...ausss"...Stille..."..Ach..ausss.." wieder Stille "Achh...aufff"..." WACH AUF!"

Wie er es schaffte seine Augenlider aufzuschlagen wusste er nicht mehr. Alles war so irreal. Mit einem Mal war die Welt die er kannte verschwunden und wich einem Alptraum. Er sah nichts. Jedenfalls nicht viel. Ein helles Licht schmerzte ihm in den Augen und er bemerkte, dass sich sein Körper wie ein Baby im Bauch seiner Mutter zusammen gekrümmt hatte. Die Worte hörten nicht auf und die Lautstärke mit der sie ihm, wie heftige Wellen, entgegenkamen war ohrenbetäubend. Er versuchte etwas zu erwidern, brachte aber nur ein Krächzen heraus. "Hey, wach auf verdammt noch mal!" Er versuchte die Richtung dieser Stimme zu folgen. Vorsichtig öffnete er wieder die Augen. Schloss sie und öffnete sie wieder. Jedes mal ging etwas leichter und langsam konnte er einzelne Details ausmachen. Undeutlich sah er eine Gestalt in einer braunen Robe, die sich über ihn beugte. "Sch...k..uut..in..wach!" Chris wunderte sich über seine eigene Stimme. Sie schien von weit her zu kommen und nicht seine eigene zu sein. Was war hier bloß los. Er wollte zurück zu seinem Vater, seiner Familie und seinem Leben. "Ah, der Junge kann sprechen! Hehe. Gestatten, ich bin Todd, dein Meister! Und jetzt mach dass du auf die Beine kommst!" Chris verstand gar nichts. Er versuchte sich aufzurichten und hielt sich am Rand des Dings fest in dem er immer noch halb lag.

"Warte, ich helf dir." Der Fremde half ihm langsam auf die Füße. Als er kurz losließ drohten Chris die Beine wegzusacken. Doch der andere hielt ihn fest und richtete ihn wieder auf. "Mann bist du schwer!" keuchte er. Chris war immer noch benommen und wusste weder wo er war, noch was das alles sollte. Er stützte sich an dem Fremden ab und versuchte das Gleichgewicht zu halten. "Ja so ist's gut. Dir wird es bald besser gehen." meinte er. "Okay, versuch dich hier dran festzuhalten." Todd führte Chris' Arm an etwas metallenes. Er schaute hinab auf seine Hand. Viel konnte er noch nicht erkennen. Seine Augen schienen noch immer viel zu empfindlich auf das Umgebungslicht zu reagieren. "Alles klar. Bleib so. Ich besorg dir etwas zum Anziehen." Während Todd weg war versuchte Chris erneut sich ein Bild seiner Umgebung zu machen. Langsam sah er klarer und nach etwa einer Minute hatten sich seine Augen halbwegs an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Als erstes bemerkte er, dass er nackt war und sich in einer Art Behälter befand. Er war rund und etwa einen Meter im Durchmesser. Sein Arm lehnte an einer mittig angebrachten Strebe , die den Behälter umrundete. Jetzt erst, nachdem sich der erste Schock langsam gelegt hatte,  bemerkte er, dass er am ganzen Körper zitterte und sich seine Haut nass anfühlte. Ihm war schrecklich kalt. Der Boden des Behälters besaß eine Öffnung um die herum sich eine kleine Wasserlache gebildet hatte. Anscheinend eine Art Abfluss, mutmaßte er. Wahrscheinlich war das ganze Ding zuvor mit Wasser oder einer ähnlichen Flüssigkeit gefüllt gewesen. Aber wozu? Und wozu war er darin eingeschlossen gewesen? Er konnte es zwar nicht Bestimmtheit sagen, zumal er sich immer noch an nichts erinnern konnte außer an den Moment, als er seinen Vater und seinen Bruder zum letzten Mal gesehen hatte aber es sprach alles dafür dass er hier drin eingeschlossen gewesen war.

Neben seinem Behälter standen noch drei weitere. Zwei davon waren offensichtlich zerstört, und der letzte war geschlossen aber leer. Er befand sich in einem etwa 20 m² großen Raum, in dem sich außer den Tanks nicht viel befand. Vor jedem Behälter war ein Computerpult angebracht. Anscheinend eine Art Steuer- und Kontrolleinheit, mutmaßte Chris. "Tx200 A. Das neueste in Sachen automatischer Überwachungs- und Regeltechnik." murmelte er vor sich hin. Woher wusste er das? Er war Marketingexperte, kein Computerfachmann. Aber er wusste, dass es stimmte, was er da von sich gab. Er hätte aus dem Stegreif einen Schaltplan des Nanoprozessors zeichnen können, der das Herzstück, dieses Systems bildete. Bevor er sich darüber weiter den Kopf zerbrechen konnte hörte er ein leises Zischen. Die Tür vor ihm öffnete sich und Todd betrat den Raum. Chris konnte ihn zum ersten Mal richtig betrachten. Ein etwas hagerer, kleiner Mann in einer braunen Robe. Sein Gesicht war etwas eingefallen und er hatte leichte Augenränder. Chris schätzte ihn auf Anfang 40. Ansonsten fiel ihm nichts besonderes an Todd auf. Sein Gesichtsausdruck war heiter. In den Händen trug er diverse Kleidungsstücke. Unterwäsche, eine Jeans, ein T-Shirt, Turnschuhe und eine Lederjacke. "Hier das ist für dich. Du solltest inzwischen in der Lage sein, dich selbst anzuziehen." Todd überreichte ihm die Sachen und beobachtete Chris dabei neugierig. Chris zog sich langsam an und stellte Todd dabei alle möglichen Fragen. "Was ist das alles und wie komme ich hierher? Wo ist mein Vater und mein Bruder?" Er wusste nicht wo er zuerst anfangen sollte. "Beruhige dich erst einmal. Deine Fragen kann ich dir später noch beantworten. Jetzt ist es wichtig, dass du dich  akklimatisierst und zu Kräften kommst. Wenn du fertig bist folge mir."

Das Essen schmeckte ziemlich grausam aber Chris hatte einen riesigen Hunger, gerade so, als hätte er monatelang nichts gegessen. Er schlang den, übel schmeckenden, weißen Brei herunter und verlangte sogar Nachschlag. Sie saßen in einem kleinen Aufenthaltsraum, der sich direkt an das Zimmer mit den Behältern anschloss. Chris fühlte, wie seine Kräfte langsam zurückkehrten aber er war immer noch sehr geschafft, so als hätte er Tagelang nicht geschlafen.

"Also..wer bist du Todd? Und was ist das alles hier?" Todd lächelte ihn an. "Nun, was ist das letzte an das du dich erinnern kannst, bevor du hier aufgewacht bist?" Chris überlegte eine Weile, dann antwortete er: "Naja, ich war Angeln mit meinem Bruder und meinem Vater. Und dann war da dieser Strudel und als ich aufwachte war ich hier." Todd schien eine Weile zu überlegen. "Hmm!" sagte er nachdenklich. "Was, hmm?" fragte ihn Chris. "Das hatte ich noch nie. Normalerweise erinnern sich die Leute an ihre Vergangenheit es sei denn sie sind so zurückgeblieben, dass sie zu einer normalen Kommunikation nicht mehr fähig sind. Allerdings hatte ich bisher nicht genügend Studienobjekte um alle Auswirkungen der Kryostase auswerten zu können." "An welche Vergangenheit sollte ich mich denn deiner Meinung nach erinnern können? Und was für eine Kryostase? Wovon redest du überhaupt?" Chris wurde langsam wütend. Er fühlte sich als ob ihm jemand einen bösen Streich spielen wollte. Todd ließ sich von seinen Überlegungen nicht abbringen und dachte weiterhin laut nach "Hmm, womöglich partielle, wenn nicht sogar vollständige Amnesie. Sag mal Chris, kannst du mir sagen welches Jahr wir gerade haben?" Todd schien es ernst zu meinen. "2085 natürlich! Was'n das für ne Frage?" Todd schien die Antwort zu verwundern. Er machte sich mit einem Bleistift einige Notizen auf einem Blatt Papier und fuhr fort, ohne auf Chris' Einwand zu achten. "Chris. Sagt dir der Name Cybertronics Inc. irgend etwas?" "Nie gehört!“ entgegnete ihm Chris forsch. „Was soll die ganze Fragerei überhaupt? Kann mir endlich mal jemand sagen, was zum Teufel hier vorgeht?" Chris war stinksauer.  "Beruhige dich!" erwiderte ihm Todd. "Okay, das was ich dir jetzt erzählen werde könnte ein ziemlicher Schock für dich sein. Für die meisten ist es sowieso schon schwierig, wieder in die Realität zurück zu finden aber bei dir haben wir einen ganz speziellen Fall. Anscheinend hat sich dein Gehirn eine Art Ersatzrealität geschaffen während du...“geschlafen“ hast." Die letzten Worte sprach er fast flüsternd aus. "Was erzählst du da für einen Müll? Also was ist hier los?"

Todd sah ihn eine Weile mit ernster Miene an, dann antwortete er: "Na schön. Um es kurz zu machen, du warst über achtzig Jahre lang in diesem Behälter eingefroren bis ich dich wieder aufgetaut habe." Todd betrachtete Chris nachdenklich, so als ob er versuchte herauszufinden, wie das eben gesagte auf ihn wirkte. Chris musste plötzlich laut Lachen. Als er sich halbwegs wieder  gefangen hatte meinte er höhnisch: "80 Jahre? In diesem Ding?" wieder brach es aus ihm heraus und er hielt sich den Bauch vor Lachen. "Was noch? Sind wir hier etwa in einem Alien-Raumschiff und fliegen zum Mars?" „Nein Chris.“ entgegnete ihm Todd nüchtern. „Kein Raumschiff nur eine unterirdische Bunkeranlage. Ich stieß vor ein paar Jahren zufällig darauf und fand diese ganzen Tanks vor. In einigen waren noch Menschen, so wie du. Zum Glück gab es einen Reservegenerator, der das ganze hier über die Jahre am Laufen hielt, nachdem die Stromzufuhr gekappt war, das heißt kurz nachdem der Krieg begann.“ Chris hatte sich wieder einigermaßen unter Kontrolle. „Was für ein Krieg?“ „Ist ne längere Geschichte.“ meinte Todd. „Aber eins nach dem anderen. Zuerst musst du dich erinnern wer du warst. Im Speicher des Computers fand ich einige Aufzeichnungen zu deiner Person. Anschrift, Familienangehörigkeit, Anstellung und so weiter. Hier..“ Todd überreichte Chris einen Computerausdruck  „..vielleicht hilft dir das dich zu erinnern.“ Während sich Chris den Ausdruck ansah und die wenigen Daten etwas ungläubig studierte erzählte Todd unbeirrt weiter.

„Du hattest Glück. Die Systeme wurden vom Zentralcomputer so lange es möglich war mit dem Notstrom weiter betrieben aber die Betriebsdauer der Brennstoffzellen beträgt nur circa 50 Jahre. Man war sich wohl sicher, dass diese Zeitspanne ausreichte um das Überleben der Menschen in den Kryostaseeinheiten zu gewährleisten bis eine normale Stromzufuhr wieder etabliert wäre. Tja, nur leider kam der Krieg dazwischen und als der Computer nach etwa 48 Jahren immer noch auf Sparflamme lief entschied das Programm, die Behälter nach und nach abzuschalten, um Strom zu sparen. Ein abgeschalteter Behälter, so seine Berechnungen, würden den verbliebenen Tanks etwa ein zusätzliches Betriebsjahr bringen. Nach welchem Auswahlverfahren der Computer dabei vorging kann ich nicht mit Sicherheit sagen aber das ist jetzt nicht mehr von Belang. In der ganzen Anlage befinden sich 32 Behälter, verteilt auf mehrere Räume. Die meisten davon beherbergten Menschen wie dich. Du kannst dir also vorstellen, wie viele es nicht geschafft haben. Als ich hier eintraf, fand ich nur noch vier intakte Tanks vor. In zwei davon befanden sich Männer deines Alters, in dem anderen eine Frau und in dem letzten warst du eingeschlossen. Naja..“ Todd blickte etwas verlegen zu Boden. „Einen der beiden Männer konnte ich auftauen aber er starb mir unter den Händen weg. Danach ging ich vorsichtiger vor. Ich ließ die Behälter erst einmal so wie sie waren und studierte die ganze Anlage und die Aufzeichnungen im Computer bis ich den nächsten Versuch unternahm. Das Gehirn ist überaus empfindlich und verkraftet einen so plötzlichen Wandel von der Bewusstlosigkeit zum Wachzustand nicht. Bei dem zweiten Mann schaffte ich es. Sein Behälter war jedoch nicht mehr voll funktionsfähig. Wahrscheinlich hatten die Detonationen während des Krieges die Elektronik beschädigt. Die Temperatur im Inneren schwankte zu stark und so hatte das Gehirn des Mannes Schaden genommen. Er war zurückgeblieben und konnte sich kaum verständigen. Eines Nachts verschwand er plötzlich und ich weiß nicht wo er hin ging. Wahrscheinlich ist er längst tot. An die Frau habe ich mich noch nicht heran getraut.“

Chris, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte, überflog immer noch die Liste mit den Angaben zu seiner Person. „Hey! Das stimmt doch hinten und vorne nicht. Ich bin kein Einzelkind. Ich habe einen Bruder! Jonathan ist sein Name. Und dann arbeite ich seit zwei Jahren im Marketing bei einer Firma in San Francisco, nicht als Systementwickler im IT-Bereich. Was soll das?“ Chris hatte die Nase gestrichen voll. Er warf den Ausdruck auf den Boden, stand auf und machte Anstalten den Raum zu verlassen. „Ich gehe jetzt. Wenn das irgend ein schlechter Scherz sein soll dann habt ihr euch den falschen rausgesucht. Schönen Tag noch!“

Chris ging auf die Tür am anderen Ende des Raums zu. Todd schaute ihm hinterher. In ruhigem Tonfall sagte er schließlich: „Was ist die Grundvoraussetzung um ein leitendes Metall zu einem Supraleiter umzufunktionieren?“ Chris antwortete ihm fast beiläufig: „Mann muss seine Temperatur bis nahe an den absoluten Nullpunkt herunter kühlen, was sonst?“ Plötzlich blieb er stehen und drehte sich verblüfft zu Todd um. Dieser saß immer noch am Tisch und lächelte ihn leicht an. „Ja Chris so ist's gut, mach weiter!“ Chris verstand. In seinem Kopf gab es plötzlich eine Explosion an Bildern und Emotionen. In einem einzigen Moment brach eine ganze Welt in sich zusammen um die dahinter liegende Realität freizulegen. „NEIN!“ schrie er verzweifelt. „Verdammt, neeein!“ Er sackte auf die Knie und schluchzte leicht. „Mom, Jonathan...!“ Er blickte Todd fragend an. „Es gab sie nie Chris! Deine Mutter starb als du noch klein warst und dein Bruder war eine reine Erfindung deines Geistes. Verstehst du es jetzt? Ich habe es mit dem letzten Mittel versucht, dass mir zur Verfügung stand. Es war eine Art Code den du dir selbständig ausgesucht hattest bevor man dich einfrierte. Eine Art Schlüsselfrage, die es dir leichter machen sollte, dich wieder an dich selbst zu erinnern. Man wusste offenbar nicht wirklich, ob man während der Zeit, in der man eingefroren ist träumt oder nicht. Aus den Aufzeichnungen des Computers geht hervor, dass es darüber heftige Debatten gab aber das ist, glaube ich, im Moment nicht von Belang.“ „Ich kannte sie kaum.“ murmelte Chris. „Ich weiß nicht einmal, wie sie wirklich ausgesehen hat aber in diesem anderen Leben war sie immer für mich da. Warum? Warum, Todd? Warum sollte sich ein junger Mensch, wie ich, so etwas antun?“ Todd überlegte. „Ich vermute, du warst in der ein oder anderen Art und Weise hier dran beteiligt. Man hat dich, wie all die anderen wohl kurz vor dem Krieg eingefroren, in der Hoffnung, dass all das überdauern würde.“

„Ich weiß es nicht Todd. Ich erinnere mich an meinen Vater, das heißt an den wahren George aber ich kann dir nicht viel über die damalige Welt erzählen. Die Erinnerungen sind zu vage und verschwommen.“ Todd beruhigte ihn. „Das macht nichts. Du hast gerade den ersten Schock überwunden. Dein Verstand kann nicht allzu viel auf einmal verkraften. Ein natürlicher Schutzmechanismus. Sie werden nach und nach zurückkommen, schätze ich.“

Chris entschied sich, vorerst in der Anlage zu bleiben. Sein Gesundheitszustand verbesserte sich zusehends und nach etwa drei Wochen konnte er sich an fast alle Einzelheiten seines früheren Lebens erinnern. Todd hatte ihm in dieser Zeit alles was er über den Krieg und den nuklearen Fallout wusste mitgeteilt und war seinerseits über jedes Detail, das Chris ihm über die Welt vor dem Krieg erzählen konnte geradezu entzückt. Er berichtete ihm auch, wie die Welt da draußen nun aussah und wie die Leute versuchten zu überleben, was es für Gefahren gab und wie es ihm selbst ergangen war. Einmal fragte ihn Chris, was er eigentlich damit gemeint hatte, als er ihn kurz nach seinem Aufwachen anbrüllte er wäre sein Meister? Todd hatte gelächelt und gemeint: „Also erstens habe ich nicht gebrüllt. Dein Gehör hatte 80 Jahre lang nichts zu tun gehabt, da hätte dir selbst das Krabbeln eines Käfers in den Ohren geschmerzt und zweitens war das nur ein simpler Versuch meinerseits, dich irgendwie in diese Welt hier herüber zu ziehen. Auf Autorität reagieren die Leute am stärksten, zumindest hat das bisher am besten geklappt. Und drittens fand ich's irgendwie witzig und du musst zugeben, dass du mir hilflos ausgeliefert warst.“

Ein Monat war vergangen und Chris hatte Todd mittlerweile alles was er über die Systeme wusste beigebracht und einige Aufzeichnungen angefertigt. Sie hatten die Tage damit verbracht, einen Plan auszuarbeiten, wie man den Auftau-Prozess noch perfektionieren konnte um schließlich auch die Frau aus ihrem Schlaf zu erwecken. Eines Abends beim Abendessen meinte Chris: „Todd, ich werde dich bald verlassen. Ich muss erfahren, wie es der Welt und den Menschen ergangen ist. Ich muss es mit eigenen Augen sehen. Für mich ist das immer noch alles so unglaublich schwer zu akzeptieren obwohl ich auch weiß, dass mich nach diesem Erlebnis nichts mehr wird schocken können. Ich wünschte du hättest erlebt was ich erlebt habe. Weißt du, es spielt keine Rolle ob Jonathan und meine Mutter in Wirklichkeit niemals existiert haben. Für die Jahre in dem Behälter waren sie für mich so real wie du oder wie dieser Löffel hier. Sie werden immer ein Teil von mir bleiben. Das weiß ich jetzt und ich denke, ich bin bereit für einen Neuanfang.“ Todd antwortete nicht sofort. Er aß ein, zwei Bissen, dann erwiderte er „Irgendwie hatte ich das geahnt und ich kann es dir nicht verübeln. Ich hoffe nur, dass du mit der Welt da draußen zurecht kommen wirst.“ „Willst du mich nicht begleiten Todd? Mit deinem Wissen über diese Welt wärst du mir ein guter Führer und zusammen könnten wir damit beginnen, die Zivilisation wieder aufzubauen.“ Todd schüttelte den Kopf. „Nein Chris. Ich weiß das zu schätzen aber ich habe meinen Platz hier gefunden. Mit der Welt da draußen will ich nichts mehr zu tun haben. Außerdem,...wer soll sich dann um das hübsche Ding da drin kümmern?“ Chris musste schmunzeln. „Ja da hast du recht. Hey! Du könntest ihr erzählen, du wärst der letzte Mann auf der Welt. Wie wäre das?“ Beide mussten lachen.

Am nächsten Tag verabschiedete sich Chris von seinem Erwecker. Zusammen fuhren sie in einem Lift zwei Stockwerke nach oben bis an die Oberfläche und kamen im Vorraum der Anlage an. Todd hatte Chris mit dem nötigsten eingedeckt und ihm eine Wegbeschreibung zur nächstgelegenen Siedlung mitgegeben. Als sich die Bunkertür öffnete strömte seit langem wieder Tageslicht in das Innere herein. Chris genoss den Moment eine Weile und drehte sich ein letztes Mal zu Todd um. „Mach's gut, mein Freund! Vielleicht komme ich dich mal besuchen oder schreib dir ne Postkarte.“ „Eine was?“ fragte ihn Todd. „Nicht so wichtig.“ erwiderte Chris. Todd nickte und sah zu wie sich das lebende Fossil einer alten Welt auf den Weg machte um sein Glück in dieser endlosen Einöde zu versuchen. „Viel Glück, Chris!“ rief er ihm hinterher und fast zu sich selbst fügte er hinzu: „Du wirst es brauchen!“

Offline Molot

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Re: Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt
« Antwort #1 am: 10. August 2009, 22:59:11 Uhr »
Sehr geile Story,

respekt. Ich hatte zwar vermutet, dass irgendwie ein Experiment dahinter steht, aber es kam doch überraschend. Ich schätze, wenn du beim nächsten Contest mitmachst, bist du eine ernst zu nehmende Konkurrenz.

Weiter so, wir wollen mehr davon lesen...  #thumbsup
Wer ist dieser Molot eigentlich?!

Heute singt für Sie...


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Offline The Real Ninja

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Re: Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt
« Antwort #2 am: 10. August 2009, 23:03:44 Uhr »
Kann meinem Vorredner nur beipflichten du hättest,  #thumbsup
coole Story habe erst gedacht es wäre der "Meister" #lachen#

beim Contest hättest auf jednfall eine bessere Chance als ich :s000:

Offline Molot

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Re: Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt
« Antwort #3 am: 10. August 2009, 23:18:54 Uhr »
Naja, wenn die Story da nicht etwas lang wäre...

Ich meine, ich habe für meine Qualistory schon Abzüge wegen der Länge bekommen...
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Offline Cerebro

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Re: Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt
« Antwort #4 am: 10. August 2009, 23:31:39 Uhr »
Naja, Kurzgeschichten sind auch bissl was anderes. Das hier fällt schon aus dieser Sparte heraus und wäre mir für den Contest ebenfalls zu lang.

Aber schön geschrieben und die Idee dahinter finde ich sehr gelungen. Nach der ersten Hälfte fehlte etwas der von mir geliebte Überraschungseffekt, aber ich habe es doch mit Genuss gelesen. Beim Contest wärst du in der Tat eine sehr ernste konkurrenz. ^^

Offline Balthasar

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Re: Die Rückkehr - Wiedergeburt in eine postnukleare Welt
« Antwort #5 am: 11. August 2009, 17:27:34 Uhr »
Vielen Dank :)..hätt ich jetzt echt nicht erwartet...ehrlich! Bin da immer recht selbstkritisch und Cerebro und Molot haben schon recht: Auch wenn die Story m.A. nach immer noch im Seitenlimit für eine KG im Allgemeinen ist, ist sie doch etwas lang geraten. Schätze das ist eine meiner Hauptschwächen, immer etwas ausholen zu müssen.

Gruß B.