Autor Thema: Die Krähe  (Gelesen 9386 mal)

Offline Cerebro

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Die Krähe
« am: 28. Oktober 2010, 22:38:07 Uhr »
Hier eine kleine Geschichte, die im Universum meines Fallout-Foren-RPGs angesiedelt ist. Namen und Ortschaften aus dem RPG tauchen darin auf, so das Nichtkenner wahrscheinlich etwas weniger von dem Erzählten verstehen werden, als meine Mitspieler. Ich hoffe, es liest sich dennoch halbwegs spannend. ;)


Die Krähe:

Tief im texanischen Westen...


Ausläufer des nahen Gebirges ziehen sich malerisch durch eine Landschaft des Todes. Die Sonne brennt ungehindert auf ausgedorrtes Land und von Strahlung verseuchte Felder der Krankheit und Pestilenz.

"Crow!!"

Regen fällt hier nicht mehr. So nahe an den Grenzen zur Todeszone ist das Leben beinahe jedes lebendigen Geschöpfes eine Qual – und dennoch ist dieser Ort nicht verlassen...

"Crow!!"

Heißer Wind fegt über den staubtrockenen Sand, vorbei an alten Wohnhäusern, klapprigen Schuppen und tief in den Berg hineingetriebenen Stollen. Bemannte Wachtürme durchziehen die Stadt. Auf hölzernen Pfeilern ragen sie auf und überblicken die dreckigen Straßen.

"Crow!!"

Käfige aus rostbeflecktem Eisen stehen wie Blumentöpfe vor den Fenstern der Gebäude oder hängen, an dicken Tauen befestigt, in einigen Metern Höhe. Ihre Insassen sind verwahrlost, ausgehungert, tot... Der Gestank von Verwesung und Exkrementen hängt in der Luft wie erstickender Rauch, während kranke Sklaven klumpiges Blut in die vertrocknete Erde erbrechen.

"Crow!!"

Fast alle Häuser stehen leer. Irgendwo klappert leise ein makaberes Wind-Klangspiel, gefertigt aus menschlichen Knochen. Unzählige Fußspuren durchziehen die von Unrat gepflasterten Wege, vorbei an all dem Elend, vorbei an den Sklaven, vorbei an Tod und Krankheit, vorbei an alledem und hinein bis in das wild pulsierende Herz der Stadt. Willkommen in Crow's Nest...

"Crow!!", "Crow!!", "Crow!!"

Die Menge johlt, reißt die Fäuste im Takt der Schreie in die Höhe und verehrt ihren Götzen. In der Mitte des Platzes steht ein weitläufiges Schafott, errichtet aus Holz und Metall. Ein einzelner Mann wandelt dort und badet im Gesang. Seine funkelnden Augen blicken wie die eines Adlers über die Flut aus Köpfen um ihn herum. Doch er ist kein Adler. Crow, so nennen sie ihn...

"Crow!!", "Crow!!", "Crow!!"

Mit einem Wink beendet er die Lobpreisungen, läuft etwas umher und beginnt dann zu sprechen. Seine Rede umgarnt die Menge, stärkt ihren wiederaufkeimenden Zusammenhalt, beschwört ihren Zorn gegen den gemeinsamen Feind. Sie liegen ihm zu Füßen, schreien und jubeln, als er ihnen ein Geschenk verspricht. Zwei Männer zerren einen übel zugerichteten Mann auf den Richtplatz. Zu schwach, um auf eigenen Beinen zu stehen, schleifen seine rotbraun eingefärbten Stiefel über die Stufen der kurzen Treppe, auf dem Weg hinauf. Seine Augen sind zugeschwollen, erloschen. Man kettet ihn an einen Sitz aus massivem Holz...

"Hier ist es!", verkündet die Krähe dem tobenden Mob. "Euer Geschenk! Ein Spitzel der Ranger, mitten unter uns!" Die Meute wird noch lauter. Sie gieren nach Blut, fordern seinen Kopf.

"Sie mögen dich Crow nennen, doch du bist nur ein Abziehbild! Ein Witz!"

Die schwache, doch deutliche Stimme gehört dem Opfer dieser Zeremonie. Die Krähe dreht sich um. Sie lächelt.

"Ein Witz... Hör sie dir an! Hör ganz genau zu!"

"Crow!!", "Crow!!", "Crow!!"

"Klingt das in deinen Ohren wie ein Witz? Glaubst du, dass sie in Worth darüber lachen werden?"

Der Mann antwortet nicht, sondern erwartet ohne Furcht das Ende. Die Krähe wendet sich unbeeindruckt wieder den Zuschauern zu. Sie erzählt von Rache, von Tod und von Krieg. Sie belacht den Versuch, durch Spione die noch freien Gebiete des Westens unter Beobachtung zu halten.

"Was? Was glaubt ihr, wird er ihnen erzählen, wenn er zu ihnen zurückkehrt!? Sagt es mir! Was wird er sagen? Was? ... Ich zeige euch, was er ihnen sagen wird!"

Ein Arztkoffer wird herbeigebracht und die Krähe lässt sich eine Zange reichen. Während man den wild ruckenden Kopf des Gefangen zähmt, wandert das Werkzeug in seinen Mund und packt zu. Mit einem schartigen Messer schneidet die Krähe ihm langsam die Zunge heraus. Der Mann schreit und strampelt. Seine Fingernägel kratzen tief in das alte Holz des Folterstuhls. Tränen rinnen die vom Blut verkrusteten Wangen hinab...

"Crow!!", "Crow!!", "Crow!!"

Die Krähe hält das blutige Stück Fleisch in die Luft und wirft es in die begeisterte Menge. Der Gefolterte wird notdürftig verarztet, damit er bei Bewusstsein bleibt und nicht verblutet. Dann brechen sie ihm mit der spitzen Seite eines Hammers jedes einzelne Glied seiner Finger, bevor sie einen nach dem anderen schließlich abschneiden. Auf grausamste Art geht das Ritual weiter und es dauert eine knappe Stunde, bis der Gerichtete endlich den unsagbaren Leiden entkommt. Seine Stücke werden unter die Menschen geschmissen und dienen dort nicht nur den Hunden als Nahrung. Der Pöbel gröhlt noch immer ununterbrochen und huldigt dem wiedergekehrten Messias. Die Krähe, über und über mit Blut besudelt, reckt die Faust gen Himmel und alle tun es ihr gleich. Eine junge Frau ist unter ihnen. Langes, schwarz schimmerndes Haar fällt in leicht gewellten Strähnen über ihr wunderschönes, jedoch von Dreck beschmiertes Gesicht. Auch sie schreit seinen Namen, doch ihre Augen sind glasig und rot. Wenn die Nacht hereinbricht, wird sie ihre Sachen gepackt haben und die unselige Stadt hinter sich lassen. Der Osten ist ihre Richtung, die Stadt des Sterns ihr Ziel. Die Zeichen stehen auf Krieg und sie hat ihre Seite schon lange gewählt...


Epilog:

Etwa zur gleichen Zeit, doch viele Meilen entfernt, liest eine edel gekleidete Dame gerade eine soeben überbrachte Botschaft. Klassische Musik erfüllt den stilvoll eingerichteten Raum mit wohligen Klängen. Als sie fertig ist, faltet sie den Zettel, lässt sich in einen bequemen Sessel sinken und trinkt Wein aus einem kostbaren Glas. Schließlich stellt sie den Trunk beiseite, greift in ihr zusammengestecktes Haar und zupft eine Feder aus dem geschmückten Reif, der ihren Kopf ziert. Lange betrachten ihre dunklen Augen die schwarze Daune, bevor sie sie in die Luft bläst und still dabei beobachtet, wie sie langsam und in kreisenden Bewegungen wieder zu Boden schwebt.
« Letzte Änderung: 29. Oktober 2010, 09:28:53 Uhr von Cerebro »

Offline Apfelsator

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Re: Die Krähe
« Antwort #1 am: 29. Oktober 2010, 04:03:29 Uhr »
Ist zwar eine sehr kurze Kurzgeschichte aber gefällt mir sehr....mir wurde nur kurzzeitig schlecht bei dem Ding mit der Zunge und den Fingern, da vorallem das mit dem Fingernägeln aber das liegt an so eine Art "Phobie".  :s000:
Schreib mal weiter, klingt zwar eher wie die erste Seite eines Romans, weil man da selber schon so viel herein interpretieren kann aber ist ja deine Sache.  ;)
(K)
Alle Rechte verdreht.

Gründer und selbsternannter Papst der Populären Diskordische Folksvront PDF
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"Glenn, begrab den Skanlenn Jungen und bring das Schwein in den Stall. Gibt'n leckeres Abendessen. Und fang mit Chuck noch'n Deadhead ein, aber nicht wieder so'n Dummbeutel wie die in der Scheune."
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Offline Molot

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Re: Die Krähe
« Antwort #2 am: 29. Oktober 2010, 08:50:40 Uhr »
Ich glaube, diese Phobie kann ich sehr gut nachvollziehen... Meine Nackenhaare legen sich langsam wieder...

Eine gute Geschichte, hät ich auch nicht anders erwartet.

Gut, der Bezug den die Spieler und Mitleser haben, fehlt, aber ich denke, man kann ganz gut interpretieren, worum es geht...
Wer ist dieser Molot eigentlich?!

Heute singt für Sie...


Das Niveau!!!

Offline Micky

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Re: Die Krähe
« Antwort #3 am: 30. Oktober 2010, 18:16:56 Uhr »
Ich finds total gut, obwohls mir vor allem bei der Stelle mit der Zunge gegraust hat. ^^


Brian Fargo während der Arbeit an Wasteland 2 zum Thema 'Publisher': "I don’t have any crazy people in my office telling me what to do."

Offline Jessica

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Re: Die Krähe
« Antwort #4 am: 30. Oktober 2010, 21:06:04 Uhr »
Typisch texanisch-dreckig, find ich gut. ^^ Ich denke mal, auch Nichtmitleser werden bei der Geschichte wissen, um was es geht. Etwas seltsam finde ich, dass sie sich so arg viel Zeit mit einem Gefangenen nehmen, jedenfalls was die Finger angeht. Mit den Frauen kann ich jetzt noch nicht viel anfangen. Zum Ende gabs einige Andeutungen, die eine Fortsetzung geradezu vorraussetzen (ich denk mal, das ist auch geplant ). ^^
Zitat
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Ashley (SF)

Offline Cerebro

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Re: Die Krähe
« Antwort #5 am: 30. Oktober 2010, 23:20:39 Uhr »
Die Folter ist darauf ausgelegt, maximale Schmerzen zu verursachen, deshalb lassen sie sich Zeit. Aus diesem Grund wird der Gefangene ja auch zwischendurch verarztet, damit er nicht vorher abkratzt oder das Bewusstsein verliert. Für die Raider hat die Folter keinen praktischen Nutzen, sondern ist eher wie Kino oder Theater - lustiger Zeitvertreib eben - gerade wenn ein Todfeind gequält wird. Für Crow wiederum ist es nur von Vorteil, wenn er seine Leute mit sowas bei Laune halten und gleichzeitig noch aufhetzende Reden schwingen kann, die sein Gedankengut verteilen und seine Machtposition festigen.

An alle übrigens danke für das Feedback. :)