Autor Thema: Der Sowjetmutant - Kommentar zu Bitmob  (Gelesen 3098 mal)

Offline Zitrusfrucht

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Der Sowjetmutant - Kommentar zu Bitmob
« am: 08. März 2011, 21:41:45 Uhr »

Kommentar und Anmerkungen zur Politik des Ödlands - Der Sowjetmutant




Nun erscheint also auf bitmob ein Artikel, der sich mit der politischen Gestaltung des Ödlands beschäftigt. Die Denkanstöße und kleinen Anlysen des Artikels sind zwar interessant, der Autor behandelt allerdings diverse offene Punkte nicht und bleibt stark an der Oberfläche. Einen offenen Punkt bezüglich der Ideologien der politischen Ödlandfraktionen und ihre Implementierung im Spiel möchte ich hier aufgrund einer kurzweiligen Laune aufschreibe und hoffe eine kleine Diskussion in Gang zu setzen.

Das Interessante an vielen Fraktionen des Ödlands, jedenfalls der menschlichen Fraktionen, ist ihre Rückwärtsgewandheit. Die Brotherhood of Steel versucht Technologie zu sammeln und zu horten, die NCR sieht sich, wie der Name bereits andeutet, als Träger des 'alten' Staats Kalifornien. Bunkerstadt hält alte Werte hoch und  sieht sich als Erbe der präapokalyptischen Zeit. Die Enklave will die Welt biologisch wieder in den Zustand zurück versetzen, der vor der Katastrophe geherrscht hat. Alle genannten Fraktionen haben ein Gesellschaftskonzept, dass sie im Ödland durchsetzen wollen, und dieses Gesellschaftskonzept speist sich stets aus der Vergangenheit. Andere Fraktionen die durchaus als politisch einzuordnen sind oder zumindest Macht haben, die sich mit poltischer Macht messen lässt, ist New Reno und die Sklavenhändler. Beide Fraktionen arbeiten auf ein Ziel hinaus, den Weiterbestand ihres Geschäftsmodell, ohne das Konzept einer gesellschaftlichen Ordnung, einer Ideologie, zu verfolgen. Sie sind auf kein gemeinschaftsbildendes Ziel hin ausgerichtet sondern eher Privatunternehmer, weshalb man, auch wenn sie räumlich erfassbare Gebiete beherrschen. Bezeichnet man Schlägertrupps oder Lil Jesus Mordino als Verwaltungsstab kann man hier zwar im weberschen Sinne von einem politischen Verband sprechen, aber nicht von staatlichen Strukturen, da nur wenige Mitglieder der unterjochten Bevölkerung ihren Herrschern die Legitimität anerkennen sondern wohl schlicht von ihnen eingeschüchtert sind. Weiterhin stellt sich die Frage, ob es angemessen ist in die Kiste der Akademiker zu greifen um damit die Strukturen eines Computerspiels näher zu untersuchen, aber das sei dahin gestellt. Die meisten anderen Fraktionen des Ödlands spielen auf dem internationalen Parkett, soweit man davon reden kann, kaum eine Rolle.

Die einzige Fraktion, der einzige politische Verband, der auf die Zukunft ausgerichtet ist, ist die Mutantenarmee des Meisters. Der Meister löst sich geistig völlig von den Strukturen der Vergangenheit, verwirft sie und entwickelt ein alternatives Gesellschaftsmodell. Der Meister ist quasi der Revolutionsführer des Ödlands während die anderen Strukturen ideologisch eher konservativ einzuschätzen sind. Wie fast jede Revolution sieht auch die Armee des Meisters die Auslöschung und Ersatz alter und bestehender Strukturen als Ziel an, und die Erschaffung eines neuen Menschen als Ziel. Interessanterweise ist dieses Ziel zum Scheitern verdammt. Es ist für den Spieler nicht nur eine Frage der moralischen Überzeugung oder der Solidarität mit der eigenen Spezies sich gegen den Meister zu stellen, es ist eine Notwendigkeit, will er nicht die Welt zu einem sehr ruhigen Ort machen. Der Übermensch den der Meister züchten will, die Postapokalyptische grünhäutige Version des Sowjetmenschen ist impotent, und seine Gesellschaft darum zum Tode verdammt. Der Revolutionsführer übersieht die Realität und die körperlichen Dispositionen seines Revolutionsproduktes, wodurch seine Ideologie eines Tages so oder so verschwinden wird.

Was lässt sich nun über Fallout sagen? Ist Fallout ein konservatives Spiel, weil alle überlebensfähigen gut organisierten Fraktionen rückwärtsgewandt sind? Es scheint, dass alle Gesellschaftsmodelle die zivilisatorische Fortschritte versprechen rückwärts in die Vergangenheit blicken und daraus ihre Kraft und Legitimation ziehen. Alle anderen Fraktionen versprechen höchstens Stagnation oder Rückschritt, statt Ordnung und Sicherheit herrscht im Ödland Chaos, überlässt man diesen Akteuren das Spielfeld. Und Supermutanten, der grüne drei Meter große real existierende Mensch des Postsozialismus - sie sind zum Scheitern verdammt. Nicht weil ihre Ideologie den Praxistest nicht besteht, sondern weil sie einfach sterben müssen. Was wäre, wenn Supermutanten nicht unfruchtbar wären? Die Unfruchtbarkeit ist das Stilmittel, dass den Spieler vor einer unangenehmen Entscheidung bewahrt, die Auseinandersetzung mit der revolutionären Ideologie erübrigt. Quasi-göttliche Intervention, oder purer Zufall, reicht dem Menschen den Schlüssel zur Zukunft in die Hand, er muss nur noch das passende Schloss finden und sich der Neider und Revolutionäre erwehren. Die Konterrevolution findet statt bevor die Revolution eintreten kann, und die Revolution verspricht aufgrund äußerer Rahmenbedingungen keine Zukunft. Bedeutet dies, dass die Überwindung der Barbarei nur in der Reaktivierung alter Werte und Staatsphilosophien liegt? Das aus der Barbarei nichts Neues entstehen kann, und das Alternativen obsolet werden, da der Mensch als Krone der Schöpfung allein den Weg in die Zukunft asphaltieren kann? Ist die Sterilisierung der Supermutanten das stilistische Ausdrucksmittel der Entwickler alternativen Gesellschaftsmodellen eine Absage zu erteilen, und die Zukunft nur in dem Wissen der Vergangenheit liegt? Sind alternative Gesellschaftsmodelle unmöglich wenn sie dem radioaktiv und biologisch verseuchten Ödland entspringen? Oder ist Weiterentwicklung nicht erwünscht wenn dabei die eigene Identität des Spielers weichen muss?

Oder vielleicht ist Fallout einfach nur eine geile Spielereihe und ihr solltet sie wieder öfters zocken. #yay ;D
« Letzte Änderung: 08. März 2011, 22:07:01 Uhr von Zitrusfrucht »
Tanzt den Zitrus! O0 #bang


A.k.a. Fitruszucht